Nu sach‘ doch mal

o.k., machen wir auch.

Als wir zu dieser neuen Seite umgezogen sind, war sofort ein „alter“ Wunsch wieder da: „lass mal einen Podcast machen„.

Gesagt, getan. Naja fast. Endlich hatten wir Feierabend, den Rasen gemäht, Schwiegermutter angerufen, Karl gefüttert, selbst etwas gegessen und ein Glas Weißwein am Start. Und schon konnte es losgehen.

Um das Equipment, was hier schon etwa 14 Monate rumsteht, einzurichten, haben wir gar nicht viel mehr als eine halbe Stunde gebraucht.

Die gute Flasche Rum und zwei Gläser standen bereit, Karl hatte eine Kaustange bekommen …. alles perfekt.

„und los“ …. wir plaudern los über das Fazit unserer Schwedenreise. Der erste Podcast sollte Übung, Fazit und nette Plauderei sein.

Plötzlich wird die geliebte Mikrophonbesetzerin immer stiller, schielt an mir vorbei und macht so besorgt-neugierige Augen, wie es nur Frauen können. Und sagt plötzlich gar nichts mehr. Und dann doch: „Karlchen kotzt gleich“

Tatsächlich höre ich hinter mir Würgegeräusche. Da sonst niemand im Haus ist, kann das nur Karl sein. Als ich mich umdrehe, macht er gerade einen langen Hals und es bewegt sich wellenförmig vom Bauch nach vorne. Und klingt wie das Glucksen einer Kläranlage.

„nee, nee, lass uns weitermachen“

Sprach’s und sagte nichts weiter. Stattdessen steht Soni auf und stürzt besorgt zu Karl. Während sie ihn herzt, bedauert und noch sorgenvoller guckt, stoppe ich die Aufnahme.

Am Ende ist es ein beherzter Schluckauf, nach 5 min vorbei und wir fangen einfach nochmal von vorne an.

„dann kannst Du jetzt ja auch Deine Pressesprecherstimme weglassen“

O.k., hab ich versucht. Aber hört doch lieber selbst:

Eat, Sleep, go fishing

(16.08.2021)

Karl ist total genervt.

„Da steht der Alte nun seit fast einer Stunde auf dem Steg und fuchtelt mit so einem langen, dünnen Stock umher. Ich will doch viel lieber laufen und toben und spielen. Und wenn er das nicht will, dann will ich doch wenigstens um ihn herum tippeln, sehen was er da macht, ihm irgendwas wegschnappen und darauf rumkauen und mich dann hinsetzen und gelangweilt gucken. Aber ich trau mich nicht. Ich trau mich einfach nicht, auf diesen klappernden Steg zu laufen – ihm hinterher. Wer weiß, was da alles passieren kann. Ach menno.“

Als ich mich kurz umdrehe, sitzt Karl am Ufer, genervt, gelangweilt und irritiert. Auf den Steg hat er sich nicht getraut, so sehr ich ihn auch ermuntert habe.

Aber ich kann ihn verstehen, auch ich bin irritiert. Vielleicht sogar ein bisschen genervt. Seit mehr als einer Stunde stehe ich hier im Morgengrauen mit meiner Angel – und habe immer noch nichts gefangen. Das geht schon seit Tagen so. Dabei habe ich alles ausprobiert, was mir so einfiel.

Der Blinker verheddert sich im Kraut, genau wie der glitzernde Gummifisch. Der See ist recht flach hier vorne, zu flach für einen ordentlichen Hechtköder.

Na gut, dann eben klassisch mit Haken und Pose. Als erstes versuche ich es mit Brot. Das hat früher immer geklappt. Schön einweichen, ausdrücken, kleine feste Kügelchen formen und zack…..

… im Wasser aufgelöst und vom Haken gefallen.

Nagut, ich hab ja hier auch nicht ewig Zeit, also Garnelen von gestern. Die finden Raubfische auch lecker. Davon habe ich mir vorsorglich 2 kleine Exemplare aufgehoben. Eine davon wird fein säuberlich über den Haken geschoben und siehe da ….

… die Fische springen offensichtlich um meinen Köder herum, interessieren sich aber einen Sche*** dafür. Das Gleiche mit Fleischwurst. Egal wie hübsch die kleinen Streifen sind, die ich geschnitten habe. Totale Ignoranz.

Mais! Mais geht immer. In der Suppe, zu Hühnchen, auf dem Grill und auch zu Fisch. Außerdem leuchtet Mais so schön im Wasser und irgendwo habe ich mal gelesen, das sei wichtig. Wie es der Zufall will, haben wir eine kleine Dose Mais an Bord und bei der „wir-essen-alle-Vorräte-auf“ Aktion wohl übersehen.

Nicht zu übersehen ist, dass sich mit den Maiskörnern am Haken plötzlich etwas bewegt. Es zuckt und zuppelt, die Pose tanzt und dann ….. Ruhe. Ungeduldig, wie ich bin, hole ich die Angel ein und meine Theorie hat sich bestätigt. Mais geht immer. Auch bei den Fischen. Sie fressen ihn sogar fein säuberlich vom Haken, ohne sich daran zu erhängen. Mist! Das geht dann noch drei-vier mal so, bis ich keine Lust mehr habe.

Ich packe zusammen, mache mir noch einen guten Kaffee und frühstücke in der Sonne. Heute ist ein ganz besonderer Tag und deshalb ist es nicht unhöflich, wenn ich schon mal anfange und die geliebte Reiseleitung weiter schlafen lasse. Außerdem gibt es Torte zum Frühstück. Da bin ich mir gar nicht sicher, ob … naja, egal.

Irgendwann kommt auch die Schlafmütze ans Tageslicht, welches inzwischen gleißender Sonnenschein ist. Wir gehen schwimmen, lungern auf dem Sofa in der Sonne, essen uns quer durch unsere Beute aus dem Supermarkt. Satt und müde gibt es einen Mittagsschlaf, bevor sich der Tag seinem Höhepunkt nährt. Wir hatten uns für den Nachmittag ja ein Boot reserviert, und diesmal, jaha – diesmal! Ich werde da draußen das Abendessen fangen. Wer braucht schon einen Elch im Wald, wenn er Hecht, Zander und alle anderen Fische im Überfluss auf dem Grill haben kann?!

Wir fahren hinaus, alles ist perfekt, sogar kaltes Bier haben wir dabei.

„was wollen Männer eigentlich beim Angeln?“

„ihre Ruhe“

„und Fische auch?“

„ja“

„aber vor allem ihre Ruhe?“

„genau“

„hmm“

„…“

„…“

mir ist langweilig“

„…“

laaaaaaangweilig, langweilig, langweilig

O.k., nach etwas mehr als 30min fährt ein kleines Boot mit zwei Campern, einer Dose Mais, zwei leeren und zwei vollen Flaschen Bier und keinem Fischen an Bord zurück zum Steg. Etwa 10m vor dem Steg wechselt die Stimmung meiner Crew von gelangweilt/genervt zu fröhlich/hibbelig. Sie springt vom Boot, winkt mir kurz aber fröhlich zu und stößt das Boot wieder ab Richtung See.

„Ich kann ja heute mal den Grill anheizen, wenn Du schon den Fisch fängst.“ sprach es und lachte sich kringelig.

Irritiert, aber nicht unzufrieden, fahre ich wieder hinaus, diesmal auf die andere Seite Richtung Schilf. Ich genieße die Ruhe, trinke kühles Bier, sehe einen Fuchs auf einem Felsen umherklettern, treibe im leichten Wind über den See, werfe die Angel aus, hole sie wieder ein, werfe sie wieder aus… und nach etwa drei Stunden habe ich kein Bier mehr, einen leichten Sonnenbrand, Hunger und nichts gefangen.

Stop – das stimmt so nicht ganz. Bei einem meiner Versuche im Trüben zu fischen, hat sich eine wunderschöne Muschel am Haken verfangen. Und da ich für die schönen Dinge des Lebens sehr viel übrig habe, freue ich mich darüber, werfe sie zurück ins Wasser und fahre zufrieden an Land. Ein ganz klein wenig mag meine Zufriedenheit trotz Anglerpech auch damit zusammenhängen, dass ich weiß, was im Kühlschrank liegt: ein riesiges Steak, Maiskolben und andere, schwedische Leckereien.

Übrigens habe ich es genau beobachtet: ich war ja nicht der Einzige, der gestern und heute hier mit dem Boot rausgefahren ist. Niemand, wirklich niemand hatte einen Fisch dabei, als er zurückkam. Ich glaube, das ist genau wie mit den Elchen. Perfekt inszeniert, dramatisch aufgebaut und zu einem perfekten Verkaufsschlager weiterentwickelt. Aber in Wirklichkeit gibt es in Schweden weder Elche noch Fische. Alles nur billige Reklame. Pah! Typisch, diese Werbefuzzis!

Inzwischen ist es nicht mehr ganz so ruhig und einsam an unserem See. Neben den ebenfalls erfolglosen, schwedischen Anglern kommen Familien zum Picknick, zwei Camper und ein Zelt sind ebenfalls dazu gekommen.

Beim letzten Rum des Abends beschließen wir, am nächsten Tag langsam Richtung Heimat zu schaukeln.

Inzwischen haben wir Routine. Nach einer erholsamen Nacht, einem kleinen Frühstück und langen Spaziergang mit Karl durch den Wald, bin ich mir sicher: Elche (und Fische) gibt’s hier gar nicht. Dann können wir ja auch los. Knapp 30min später ist alles gepackt, Walter schnurrt und Karl schläft. Wir sind also wieder unterwegs.

An diesem Abend bleiben wir noch eine Nacht auf einem Campingplatz ganz im Süden von Schweden. Der Campingplatz ist voll, bumsvoll, sauber, unspektakulär. Wir tun, was wir ab und zu tun müssen: Ver- und Entsorgen, Duschen – „clean up all your systems“.

Am nächsten Tag geht es munter weiter, wir kommen gut voran und erreichen Dänemark schon am frühen Nachmittag. „Super, jetzt wo wir nach Hause fahren, wissen wir wie es geht – ohne Stress“ stellt die geliebte Fahrerin fest, kurz bevor wir ankommen.

„meinst du, das können wir uns bis zum nächsten Mal merken?“

„Nö“

Nagut, dann genießen wir eben heute den stressfreien Tag und die frühe Ankunft auf unserem Stellplatz – direkt am Meer mit einem fantastischen Blick über die Ostsee.

Wir sitzen in der Sonne und langweilen uns ein wenig. Das ist nicht schlimm, wir haben uns ja genug Geschichten aus den letzten zwei Wochen zu erzählen. Dabei stellen wir fest, dass wir – anders als noch vor ein paar Tagen – nicht sofort bei nächster Gelegenheit zurück nach Schweden fahren wollen, um das Verpasste nachzuholen.

„Lass uns anderswo neue Katastrophen erleben“ schlägt die geliebte Platzbesetzerin vor. Noch bevor ich zustimmen kann, rollt ein funkel-niegel-nagel-neuer Van auf den Platz und hält genau neben uns. Es dauert ewig, aber irgendwann steigt ein feiner, graumelierter Herr aus. Gebügelte Jeans, feines, blau-weiß-kariertes Hemd, säuberlich in die Jeans gesteckt. Etwa Mitte vierzig. Die ebenfalls graumelierte Dame, die ihm folgt, sieht älter aus. Ist es aber wahrscheinlich nicht.

In jedem Fall ist dieser Van noch nicht alt – keine zwei Tage schätze ich ist es her, dass er in Wolfsburg vom Band gelaufen ist. Das dunkle Rot glänzt, die schwarzen Reifen wirken wie angemalt, so sauber und staubfrei sind sie. Auf einem mächtigen Träger am Heck steht eine funkel-niegel-nagel-neue Vespa, sie hat exakt die Farbe des Vans und an den Reifen erkenne ich noch die gelben Kontrollzippel aus Gummi. „diese Vespa ist noch keine 50m gefahren“ schließe ich eine Wette ab.

Als das feine Pärchen die Seitentür aufschiebt, kann ich einen Blick in den Innenraum erhaschen. Irgendwie fühle ich mich plötzlich sehr jung und sehr verwegen. Es ist ja nicht so, dass wir Ordnung nicht mögen. Aber da drüben könnte man eine Blinddarm-OP durchführen. Gleich jetzt und hier.

Wir tasten uns kurz unseren Bauch ab. Nein, keine Schmerzen. Der Blinddarm bleibt drin. Dafür knurrt es beim Drücken bedrohlich, Zeit für ein üppiges Abendessen aus allem, was wir noch so haben. Und ebenjenes stapeln wir kreuz und quer auf unseren kleinen Klapptisch, so dass es an den Seiten fast herunter fällt. Wir genießen den Querfraß, während nebenan gerade ein Kamillentee in der Porzellankanne aufgegossen wird.

(k)einen Elch erlegt

(13.08.2021)

Wir lernen ja auch dazu. Und so kam es, dass ich an der Reception des Campingplatzes nach einem Tagespass fragte. Nun baue ich im englischen keine fein ausformulierten Akademiker Sätze, aber bislang hat es in allen Hafenkantinen gereicht, um zu bekommen, was ich wollte. Und hier in Schweden hat es sich mitunter sogar zu einem netten Smalltalk entwickelt.

Also, ich sag mal daran lag es nicht, dass der sehr freundliche Schwede hinterm Tresen dreimal nachfragte, ob wir wirklich nur 2 Stunden bleiben wollen. Grauwasser und Kassette entleeren, Frischwasser und Strom tanken, duschen. Mehr brauchten wir gerade nicht, und das gerne schnell. Wir hatten ja einen reservierten Traumplatz, zu dem wir so schnell wie möglich zurück wollten.

„ok, ok, clean up your systems and have a nice day” gab er irgendwann auf, mich zu einer Übernachtung überreden zu wollen. Übrigens eine unserer besseren Entscheidungen auf dieser illustren Reise.

Während ich mich um das Grobe kümmere, packt die geliebte Platzbesetzerin schon mal ihre sieben Sachen zusammen und geht duschen. Ich drücke ihr noch schnell vier 5-Kronen-Stücke in die Hand (übrigens das einzige Mal überhaupt, dass wir Bargeld brauchten), denn die braucht es hier offensichtlich zum Duschen.

Alle Tanks sind gefüllt, nur der Laptop braucht noch 20min zum Aufladen, als mich von hinten ein frischer Duft anweht. „ui, was….“ weiter komme ich nicht. Sie gackert und giggelt und kommt gar nicht dazu mir zu erzählen, was eigentlich los ist. „genau so stelle ich mir die Duschen im Schwimmbad von Eis am Stiel vor“

„Hä?“

„schau es dir selbst an! Ach ja, du hast genau 3,5 Minuten, die anderen Münzen brauchte ich leider“ und verschwindet kichernd im Walter.

Ich wollte mir das gar nicht anschauen, ich wollte eigentlich nur wissen, warum sie Eis am Stiel kennt. Aber da sie nun schon weg ist, kann ich ja mal duschen – und gucken – gehen.

Noch bevor ich etwas sehen kann, habe ich einen Geruch und Bilder meiner Kindheit vor Augen: Trainingslager und Gemeinschaftsduschen. Diese Mischung aus Chlor, Muff und alter Seife. Im Raum vor mir ist die Zeit stehen geblieben – irgendwann in den 70ern. Alte, abgebröckelte Fliesen, Duschkabinen aus Leichtbau-Quitsch-ich-weiß-nicht-was-für-Material-die-damals-genommen-haben. Natürlich beginnen die Kabinenwände erst 20cm über dem Boden und sind gerade eben so hoch, dass ich nicht mehr drüber schauen kann.

Die Kabinen selbst sind wirklich gerade so groß, dass man darin duschen kann, zum Umziehen stehen zwei weiße Plastikstühle im großen Raum davor. An der Wand eine abenteuerliche Verkabelung – und drei Münzautomaten mit den Nummern 1, 2 und 3. Bei genauem Hinschauen lassen sich diese Nummern dann auch auf den Türen der Duschkabinen erahnen.

Drei Waschbecken auf der anderen Seite, metallisch angelaufene Spiegel, bei denen immer unten diese eine Ecke abgesplittert ist. Kann mir mal jemand sagen, warum?

Ach ja, und in der Ecke, neben dem einen Plastikstuhl, rumpelt ein Luftentfeuchter.

Habt Ihr schon mal versucht, im Nieselregen zu duschen? Da holst Du dir eine Erkältung, aber nicht den Dreck vom Körper. Für eine 5 Kronenmünze gibt es exakt 3,5 Minuten und 1,5 Liter lauwarmes Wasser. Dafür musst Du aber erst die Münze in den passenden Automaten werfen und möglichst schnell zu der (deiner) Kabine zu laufen. Nackt. Auf alten Fliesen.

Weniger erfrischt, dafür um so mehr amüsiert, kehre ich zur Mannschaft zurück und verkünde, dass ich mich nie wieder gegen den Aufenthalt in einem Campodrom oder anderen Fünf-Sterne-Camping-Plätzen wehren werde. Auch wenn der Tagespass dort wahrscheinlich das fünffache kostet.

Egal! Walters und unsere Systeme sind clean, Strom und Wasser reichen wieder für mind. 3 Tage, los geht’s!

Unser nächstes Ziel: ein großer Supermarkt. In den letzten Tagen haben wir den perfiden Plan ausgeheckt (und tatsächlich umgesetzt), alle mitgebrachten und vorhandenen Vorräte aufzuessen, damit wir jetzt mal so richtig eskalieren können.

Unsere Empfehlungen für einen typischen B&S Einkauf in Schweden:
Aber Vorsicht – all das folgende Zeug macht süchtig.

  • Kalles Kaviar
    eine salzige, perverse Fischcreme. Perfekt zu Ei, Käse und überall drunter
  • Ost – MildOst oder RökOst
    noch perverser, noch geiler: Schmelzkäse aus der Tube, klassisch oder mit Garnelen.
    Gibt es auch mit Bacon, Dill, Paprika oder Schinken.
  • PolarBröd
    Entweder das klassische (Knäcke) oder alle anderen Varianten, z.B. soft für Wraps o.ä.
  • Filmölk
    Ein ganz besonderer Joghurt/Kefir-Drink. Unser Favorit: Erdbeer-Blaubeere
  • Marabou-Schokolade
    einfach alle Sorten, egal. Unser ABSOLUTER Favorit: Fransk Nougat

Auf dem Rückweg gibt es natürlich noch eine Zimtschnecke auf die Hand, vollbeladen und glücklich kommen wir wieder an unserem Stellplatz an. Ganz ohne Zwischenfälle und deutlich vor Einbruch der Dunkelheit.

Der reservierte Platz liegt da wie das Handtuch am pool. Gut so – denn inzwischen ist ein weiterer Camper auf den Platz gekommen und ich bin mir sicher, er hätte lieber unseren Platz in 1-A-Lage gehabt. Hätte ich in den letzten Tagen aber auch gerne ein paar Mal, deshalb gibt’s heute kein Mitleid und kein schlechtes Gewissen.

Stattdessen soll es Pilze geben. Irgendwie steckt in meinen Genen noch der Jäger und Sammler. Also ziehe ich los, Schwedens Wälder plündern.

Ich streife durch einen dichten Wald, den Blick hauptsächlich zum Boden gerichtet. Der Wald ist urig und üppig: Steine, Wurzeln und umgekippte Baumstämme sind von sattem Moos überzogen, überall dort, wo ausreichend Licht hinfällt, wachsen junge Bäume, Farne und Sträucher. Die Bäume sind mächtig, kraftvoll und sattgrün. Und zwischen alledem wachsen Unmengen Blaubeeren – und Pilze. Ich bin ja der totale Pilzexperte: alles, was Röhren hat, kann man essen. Alles mit Lamellen nicht. Und Steinpilze heißen so, weil sie an Steinen wachsen. Oder wie ein Stein aussehen. Naja, wie auch immer. Ich sammele alles ein, was jung, knackig und frisch aussieht – und so ähnlich wie in den heimischen Wäldern. Nach knapp 15 Minuten habe ich eine große Papiertüte voll herrlichster Pilze.

Jetzt ist es Zeit, es sich gut gehen zu lassen, entscheide ich spontan. Ich setze mich in das weiche Moos und greife links, greife rechts, geradeaus. In alle Richtungen erreiche ich dicke, saftige Blaubeeren und esse mich daran satt.

Pilze habe ich keine gefunden, aber einen Elch erlegt

leicht genervter, ungläubiger Blick von der geliebten Platzbesetzerin.

oder umgekehrt

Als sie meine volle Pilztüte sieht, huscht dann doch so etwas wie Bewunderung durch ihr schönes Gesicht. Nur für diesen Moment machen wir Männer das doch alles, oder?!

Heute Abend soll es Pilzrisotto geben.

Also putze ich selbige so schnell es geht und springe anschließend kurz in den See.

Mit einem traumhaften Blick in die Abenddämmerung stehen wir im Walter, einen Becher Wein in der Hand und kochen. Das Risotto sieht fantastisch aus, Zeit zu probieren, ob der Reis schon durch ist. Ich reiche ihr einen Löffel und hoffe schon auf den nächsten, bewundernden Blick.

Stattdessen verzieht sie allerdings die Schnute, schüttelt sich und spuckt alles wieder aus.

das ist irgendwie bitter

das kann doch gar nicht sein“ protestiere ich, greife mir den Löffel und kann gar nicht so schnell rausspringen, wie ich das Zeug in meinem Mund wieder loswerden möchte.

Wie sich später herausstellt, gibt es ungiftige – aber ungenießbare – Pilze, die den Steinpilzen in Schweden zum Verwechseln ähnlich sehen.

Naja, da das Camperleben karg und entbehrungsreich ist, holen wir die frisch eingekauften Garnelen aus dem Kühlschrank, schenken uns Wein und der Pfanne Knoblauch ein und genießen dieses armselige Essen pünktlich zum Sonnenuntergang.

Eigentlich sollte es die Garnelen morgen geben, aus besonderem Anlass. Aber wenn es so ist, muss ich morgen wohl Angeln gehen.

„alles Kacke“

(09.08.2021)

„haben Sie gerade bei meiner Frau angerufen?“

„hmm, nein. Das wäre ungünstig, ich habe nämlich meine eigene dabei.“

Kurzes Schweigen, dann Gelächter.

„Oder ist es besser Ihre Frau anzurufen, wenn wir hier bleiben wollen? Ansonsten hatte ich bereits online reserviert“

„Oh nein, online ist viel besser, als meine Frau anzurufen. Herzlich willkommen am Lönern, schön dass Sie da sind!“

Als wir vor genau 1,5 Std. losgefahren sind, habe ich vorsichtshalber bei der Lönern-Tourism auf der website nachgeschaut. Und tatsächlich: man konnte den von uns favorisierten Platz am Lönern-See online reservieren. Von 5 vorhandenen Plätzen war noch genau 1 frei.

Als wir genau 1,5 Std. später ankommen, traue ich meinen Augen nicht: wir sind allein. Zumindest für etwas mehr als 10 min, dann kam nämlich der fröhliche Schwede, dessen Frau ich nicht angerufen hatte, um uns zu begrüßen.

Er erzählt uns noch kurz, dass wir jederzeit ein Boot bei ihm mieten können und ich sollte unbedingt die Angelkarte – am besten online – kaufen, der Lönern-See ist berühmt für seine zahlreichen, großen Hechte und Zander. Dann setzt er sich in seinen Pickup und fährt winkend davon.

Plötzlich ist es still. Die Sonne scheint, wir stehen am Ufer eines traumhaften Sees, es ist kurz nach 16:00 und ich habe nicht vor, Walter auch nur noch 1 Meter zu bewegen. Außer vielleicht, um auf die Rampen zu fahren, das sichere Zeichen dafür, dass wir länger bleiben.

Wir brauchen einen Moment, bis wir mit Umarmen, uns-freuen, ungläubig-staunen und Freudentänze-aufführen fertig sind und dann geht es los.

Das ganze Glamping-Equipment kommt zum Einsatz: ich baue Tisch und Stühle auf, die Markise wird ein Stück ausgerollt, der Grill vorsorglich aufgestellt, Karl bekommt seinen Platz und zu guter Letzt: DAS Sofa. Ich pumpe das Sofa so euphorisch auf, dass ich Muskelkater im Allerwertesten haben werde. Aber es ist mir egal. Wer weiß, wie lange diese Glückssträhne anhält. Ich will JETZT Urlaub, Schweden, Spontanerholung, ….. alles. Und zwar JETZT.

Und so kommt es, dass wir 20min später auf dem Sofa in der Sonne sitzen. Mit einem Becher herrlich kühlen Weißwein in der Hand. Wine-Time!

An diesem Tag passiert das ganz Besondere: nämlich nix. Wir genießen die Ruhe, die Sonne und sind unendlich froh, einen Platz gefunden zu haben, der unser beider Vorstellungen von „Schweden“ entspricht.

Für mich ein Platz direkt am See, also wirklich direkt und unmittelbar am Ufer. Wenn ich beim Aussteigen stolpern würde, hätte ich nasse Füße. Es gibt einen Zugang, um Schwimmen zu gehen, es gibt einen traumhaften Blick über den gesamten See, etwa 50m hinter uns ein ursprünglicher Wald und vor allem: Ruhe. Absolute Stille.

Für die geliebte Reiseleitung gibt es eine offene Lichtung, wir stehen nicht direkt im Wald, sondern auf einer etwa 100 x 200m großen Wiese. Es gibt einige, wenige Anzeichen von Zivilisation. Der Wald im Hintergrund ist weit genug entfernt, nicht endlos groß und nicht allzu dunkel.

Die Anzeichen der Zivilisation sind übrigens ein Steg mit drei kleinen Booten daran, zwei schön hergerichtete Feuerstellen, eine Tafel mit den wichtigsten Angelregeln am Lönern-See – und ein traditionelles Plumpsklo.

Als wollte Schweden sich mit uns versöhnen, erleben wir einen perfekten, ruhigen Abend. Und er ist auch wieder mit dabei – der dramatische Postkartensonnenuntergang.

Nur um sicherzugehen, dass niemand heimlich diese perfekte Kulisse abgebaut hat, stehe ich am nächsten Morgen sehr früh auf. Karl findet’s super, ich auch. Denn es ist alles noch da: der See liegt spiegelglatt wie aus Quecksilber gegossen vor mir. Leichter Nebel steigt auf und zieht in großen Schwaden dramatisch über den Schilfgürtel ab. Das Sonnenlicht kämpft sich mit feuerroten Strahlen durch die Bäume am gegenüberliegenden Ufer. Es ist herrlich, ich fühle mich so frei und wohl wie schon lange nicht mehr. Eine Weile sitze ich einfach auf dem Steg, denke über nichts nach und genieße den Moment.

Karl denkt zwar auch nicht viel nach, findet’s aber doof, wenn ich dasselbe tue. Also hibbelt er rum, springt von links nach rechts, stößt mich an und gibt mir zu verstehen „Alter, mir ist laaaaangweilig“

Weil ich heute morgen so gut gelaunt bin, gebe ich nach und mache eine große Wanderung durch den Wald mit ihm. Vielleicht, ja ganz bestimmt, also ich spüre es genau …. muss doch heute endlich mal ein Elch zu sehen sein.

Ich scanne die Umgebung wie mit einem Laser, auf die Ferne kann ich ja immer noch sehen wie ein Luchs. Der Wald unmittelbar hinter unserem Stellplatz ist ursprünglich und dicht, aber nicht undurchdringbar. Dahinter eröffnet sich eine große Lichtung, gefolgt von einem weiteren, diesmal dichten und fast undurchdringbaren Wald.

Aber so sehr ich auch suche und schaue, jeden Schatten und jede Wurzel genau beobachte – nichts. Es drängt sich der Gedanke auf, dass diese Elche nur ein Marketinggag der Schweden-Tourism sind, um neugierige Dorfkinder wie mich anzulocken.

Na gut, dann esse ich mich eben an Blaubeeren satt. Die wachsen hier tatsächlich wie Unkraut und während ich pflücke und esse, blau-rote Finger bekomme und mich über skurrile Wurzelgebilde, moosbedeckte Steine, fast 2m hohe Ameisenhaufen und im Morgentau glänzende Pilze freue, sehe ich am Boden eine Ansammlung übergroße Eicheln. Das ist ja sonderbar, denke ich. Hier stehen doch nur Nadelbäume und Birken. Woher kommen dann die Eicheln? Außerdem sind sie mehr als doppelt so groß wie die Eicheln, die ich kenne.

Vielleicht muss ich demnächst doch mal zum Optiker!

Da ich meine Lesebrille gerade nicht dabeihabe, stehe ich auf und betrachte die Ansammlung von oben. Ahhhh …. von wegen Eicheln. Das war doch ein Elch nach dem Frühstück. „Wie sieht eigentlich Elchkacke aus?“ frage ich zuerst mich selbst und später die verschlafene Reiseleitung. Keine Ahnung – aber ich werde es herausfinden.

Der Marsch durch den Wald hat Karl müde und mich glücklich gemacht. Um den Tag endgültig perfekt zu machen, springe ich in den See und danach gibt es Frühstück.

Zugegeben, es ist ein karges Frühstück. Auch wenn wir reichlich Vorräte geladen hatten, wir essen eben auch gerne. Und so beschließen wir gleich zwei Dinge:

Erstens: wir bleiben hier
Zweitens: lass uns Einkaufen fahren

Also rufe ich ein zweites Mal nicht bei der Frau des Schweden an, sondern reserviere den Platz für zwei weitere Tage online und buche uns bei der Gelegenheit für den nächsten Tag ein Boot.

Der Mann der Frau, die ich nicht angerufen habe, kommt etwa eine Stunde später und geht seinen Diensten nach. Die bestehen offensichtlich darin, uns fröhlich zu winken, bei den Booten nach dem rechten zu schauen, und sich um das Plumpsklo zu kümmern.

Kümmern heißt in diesem Fall, dass er mit seinem Quad, mit dem er diesmal gekommen ist, rückwärts an die Holzhütte fährt. Eine ganze Weile später hängt eine übergroße Plastikwanne mit einem Seil am Haken seines Quads und er zieht sie wie einen Schlitten die steile Abfahrt hinauf und biegt links Richtung Wald ab. Eine weitere Weile später kommt er zurück, die Wanne frisch gespült hinterher.

Später macht er noch einen Stop bei uns, plaudert fröhlich, fragt wie es uns geht und verspricht mir, den Schlüssel für das Boot rechtzeitig vorbeizubringen.

Die letzten Tage haben uns vorsichtig werden lassen. Also arrangieren wir den Tisch und die Stühle so, dass sie stehen bleiben können. Vorsichtshalber schreiben wir noch einen großen Zettel und kleben ihn darauf. Das Sofa, der Grill und die Auffahrrampen bleiben ebenfalls stehen. Egal, wer hier kommt: die Szenerie schreit geradezu: BESETZT

Und so fahren wir gegen Mittag fröhlich los. Walter hat um eine Ver- und Entsorgung gebeten, die wir in etwa 30min Fahrzeit auf einem Campingplatz ausfindig gemacht haben. Auf dem Weg gibt es einen großen Supermarkt, hier wollen wir uns versorgen.

Auf der Fahrt durch den Wald fällt es mir wieder ein. Und da ich ja gerade Walter dirigiere und die geliebte Platzbesetzerin sowieso nichts Besseres zu tun hat, frage ich sie: „kannst du mal googeln, wie Elchkacke aussieht?“

Das darauffolgende Schweigen ist kurz, aber eindrucksvoll. „das kannst Du gefälligst selbst machen, sowas will ich nicht auf meinem Handy haben“

in Gottes Namen

(07.08.2021)

„schnell, da! Da links rein“ rufe ich und mache eine Vollbremsung auf der Schotterpiste. Walter ist eingehüllt von Staub, die Schottersteine fliegen nur so um uns herum und ich sehe: nix. Naja, Staubwolken und Regentropfen. Und Karl von innen platt an der Windschutzscheibe.

Kurz vorher hatte ich noch zwei Dinge gesehen, mehr so aus dem Augenwinkel. Das erste war ein beige-weißer Camper hinter uns, der den Blinker links gesetzt hatte. Wie die Geier den sterbenden Elch umkreisen die gestressten Großstädter alle Seen auf der Suche nach dem perfekten Stellplatz, Ruhe und ihren ganz persönlichen Schwedenmoment. Und wir sind einer von ihnen.

Doch diesmal haben wir Glück, ich spüre es genau. Denn das zweite, was ich aus dem Augenwinkel gesehen habe, war ein winziges Holzschild mit einem handgemalten „P“ darauf. Und außerdem sind wir gerade an einem kleinen, flauschigen See vorbei gefahren. Ha! Das ist es!

Ich stehe also im Staub, der Camper hinter uns hat seine Niederlage eingestanden und den Blinker wieder abgesetzt. Stotternd schaukelt er vorbei. „nänännänänä“ möchte ich hinterherrufen, lasse es aber.

Erst jetzt traue ich mich, meine Beute zu erlegen und fahre weiter – hinein in den kleinen Wald auf einem nicht ganz so trockenen Trampelpfad.

Walter wird rechts und links von nassen Birken ausgepeitscht, aber das soll ja gut für die Durchblutung sein. Ein paar Meter und wir sind da: vor uns ein kleiner, lichter Platz, gerade eben so lang und breit wie Walter selbst. Auf der einen Seite ein Schilfgürtel mit einem winzig kleinen Pfad zum Wasser. Auf der anderen Seite der obligatorische, dichte Wald.

Ich bin vorsichtig optimistisch, öffne die Tür und springe heraus. Da habe ich meinen ganz persönlichen Schwedenmoment: ich stehe knöcheltief im Matsch.

Um es kurz zu machen: hier können und wollen wir nicht bleiben. Genau wie auf den anderen 6 Plätzen, welche wir noch anfahren. Meistens sind sie voll. Wir finden noch einen wirklich traumhaften Stellplatz, kommen aber nicht näher als 100m ran. Der große Stein in der Mitte des Weges hat die Form einer ägyptischen Pyramide – und würde uns zuverlässig den Unterboden aufreißen. Ich mag es zwar, unser Grauwasser schnell und effektiv zu entsorgen, aber so ein dauerhaftes Leck ist dann doch irgendwie uncool.

Ach ja: der Regen bleibt uns bei alledem natürlich treu.

Ein Blick auf die Wetterkarte und wir beschließen (mal wieder), noch ein Stück zu fahren. Dort soll die Regenwahrscheinlichkeit nur 75% betragen. Unser Ziel ist ein Schullandheim, welches während der Ferien erstmals großzügige Stellplätze anbietet. Direkt am See und mit Wald – natürlich!

Auch ein weiteres Naturgesetzt bleibt uns treu: jede Fahrt dauert 5 Stunden. Egal was wir vorher geplant haben. So kommen wir kurz nach Sonnenuntergang an. Vor uns liegt ein weitläufiger Platz, während der Schulzeit scheint dies der Sportplatz zu sein. Drumherum präsentieren sich typische Backsteinschulgebäude, rechts liegt ein Schotterparkplatz mit 4 Ladesäulen. Und da steht – der Blink-August von vor 3 Stunden. Touché!

Es ist wie angekündigt ein Schullandheim, und diesen Charme versprüht es auch. Ich fühle mich spontan wie der 8jährige Junge, der noch den Weitsprung absolvieren muss, um endlich das Sportabzeichen zu erhalten.

Ich bin zwar nicht mehr 8, sondern fast 47, aber der Entdeckergeist von damals ist geblieben. Schnell hefte ich mir das alte Sportabzeichen ans Revers, starte Walter und fahre über den Platz zu einem schmalen Weg am anderen Ende. Da muss doch …. natürlich ein Schild stehen: „Durchfahrt verboten“. Beim Umdrehen würge ich Walter ab und bleibe stehen – quer zum Weg, quer zu meiner Enttäuschung und quer zum Regen, welcher links vom See auf uns einprasselt.

Da erscheint ein altes, kleines Männchen mit Regenschirm neben meinem Fenster. Mit ihm zusammen eine nicht ganz so alte, aber ebenso kleine Frau im Friesennerz.

Ich kurble das Fenster herunter und erkläre dienstbeflissen, dass wir gerade umdrehen, wir suchen nach einem schönen Platz am Wasser, keine Sorge, hier darf ich ja nicht durch …. Blablabla

„Wie schön und wie dicht am Wasser?“ fragt das Männchen. Ich werde stutzig „den schönsten Platz den es gibt und ich möchte aus dem Fenster angeln“

„haha, den Platz suchen alle. Da links ist einer. Es ist zwar nicht DER Platz, den hier alle suchen und auch nicht so dicht am Wasser. Aber mit Strom. Der See hier hat die meisten Fische in ganz Schweden, auch ganz seltene. Weil er so tief und so kalt ist. Aber wir gehen sowieso lieber im Wald spazieren.“ erklärt mir das Männchen aufgeregt.

„Da steht ein Schild, dass ich nicht durchfahren darf.“ versuche ich noch einzuwenden, aber wir haben ja eh keine Chance. Irgendwo müssen wir diese Nacht ja bleiben.

„ich erlaube es Ihnen, ich bin hier der Pastor“

„In Gottes Namen, lass uns hier bleiben“ entscheidet die erschöpfte Reiseleitung. Der Platz ist im Rahmen der Möglichkeiten trocken, befestigt, gerade und es gibt einen Trampelpfad zum See.

Karl hüpft fröhlich hinaus, er findet den Platz super. So wie jeden Platz, an dem wir aussteigen. Wiese, Wald, Herrchen zum Toben und abends eine Kaustange. So ein Hundeleben hätte ich gerade auch gerne.

Ich nehme ihn mit und erkunde das Ufer dieses fischreichen, gesegneten Sees. Des Pastors warme Worte werde ich nicht überprüfen können. Denn überall ragen hier Steilufer empor. An Angeln ist hier nicht zu denken, da bräuchte es ein Boot. Und das liegt gut gesichert in einer kleinen Bucht gegenüber, wie ich später herausfinden werde. An Baden ist übrigens ebenso wenig zu denken. Der See ist tatsächlich arschkalt.

Ich kraxel die Felsen hinauf und betrete plötzlich ein Plateau. Ein atemberaubender Blick über den See lässt mich wie angewurzelt stehen bleiben. Ein großer Platz direkt auf den steil abfallenden Felsen. In der Mitte sind grobe Baumstämme zu einem Quadrat angeordnet, in dessen Mitte eine riesige Feuerstelle liegt. Auf dem am weitesten über dem Abhang ragenden Felsen ist ein schlichtes, riesengroßes Kreuz aus Baumstämmen aufgestellt.

Man könnte hier Opferrituale, Freiluftgottesdienste oder lustige Abende mit Gitarre und Rotwein am Feuer verbringen. Oder einfach einen Moment durchatmen, genießen und dankbar sein.

Der ganze Ort hat etwas Besonderes. Das kalte, tosende Wasser des großen Sees, die vielen Fische darin, welche sicher vor mir und meinen mangelhaften Angelkünsten sind. Der angrenzende Wald und der Zufall des freundlichen Pastors, der uns hier stehen lässt.

Heute Abend machen wir mal richtig Camping, es gibt Erbsensuppe aus der Dose, vor der offenen Tür ein Vorhang aus Wasser und im Hintergrund der tosende See. Wild-romantisch-nass-kalt-ok-für-eine-Nacht.

Am nächsten Morgen bin ich sehr früh wach. Die wilde Romantik wirkt vor Sonnenaufgang noch schroffer. Ich gehe eine sehr große Runde mit Karl und hoffe auf meinen Elch. Wenigstens das. Aber der Elch hat keine Lust auf einen blassen, unausgeschlafenen, norddeutschen Schwedenanfänger mit Hund. Der hat allerdings weiterhin Lust auf Schweden, wir müssen es nur noch entdecken.

Wir beschließen, einer schwedischen Stadt eine neue Chance zu geben. Das Wetter ist so mittel und wir sind in der Nähe einer ebensolchen Stadt, die uns neugierig gemacht hat.

Als wir in Linköping ankommen, reißt der Himmel auf und es wird zaghaft sonnig. Erstmal was geiles essen beschließen wir und wandern in die Innenstadt. Wir finden ein Restaurant mitten auf dem Marktplatz, lauschig unter Schirmen, die Ferkelwärmer heizen von oben und wir haben einen prima Ausblick auf einen Brunnen und die entspannten Menschen drumrum.

Es ist später Vormittag, das Restaurant hat gerade erst geöffnet und so sitzen wir, plaudern, genießen die Sonne und die Wärme der Strahler und warten auf die Karte. Rechts und links werden die ersten Getränke, kurze Zeit später das erste Essen gebracht. Hmm, komisch. Beim nächsten vollbepackten Tablett, welches der Kellner leichtfüßig an den Nachbartisch bringt, fragen wir nach der Karte.

„Sie können den Code hier scannen und mit Ihrem Handy bestellen“ sagt er freundlich, zeigt flüchtig auf einen winzigen Aufkleber auf unserem Tisch und verschwindet wieder.

Alles klar, wir scannen, scrollen, brechen den Bestellvorgang ab, scannen erneut und irgendwann haben wir es geschafft, online auszuwählen, zu bestellen und zu bezahlen. Keine 10 Minuten später haben wir ein wirklich gutes Essen, Getränke und keine Scherereien mit dem Bezahlen, als wir gehen wollen. Das ist echt cool. Wenn Du es einmal geschnallt hast, ist es herrlich einfach und modern. Der Charme des „bedient werdens“ im Restaurant geht ebenfalls nicht verloren.

Nach dem Essen schlendern wir durch das Städtchen und holen uns noch ein Eis bei „Gelato amore“. Na, wenn das kein Omen für die nächste Etappe ist.

geheimer Geheimtipp

(06.08.2021)

„oh Gott, ist etwas passiert?“

Ich schrecke hoch. Es ist verdächtig ruhig. Zu ruhig. Kein Pfeifen und keine Marschmusik vor dem Fenster, kein Regentrommeln auf dem Dach, selbst Karl liegt ruhig und friedlich in seinem Körbchen unter dem Tisch und leckt sich zufrieden …. die Pfoten. Das kann doch nicht sein. Wer hat in dieser Szene denn den Ton abgestellt und stattdessen einen viel zu großen Scheinwerfer direkt vor dem Fenster platziert?

Irritiert schleiche ich zur Tür, denke gerade noch rechtzeitig daran, mir etwas anzuziehen, bevor ich vermutlich in die nächste Katastrophe stolpere. So ist es doch immer: alles scheint ruhig und friedlich, nur ein scharfes Licht wirft lange Schatten, die Du leichtsinnig ignorierst. Du öffnest unbedarft die Tür.  Und zack – stehen die Schwiegereltern mit Kuchen davor. Oder die Nachbarn mit Weißwein. Oder so. Jedenfalls: man sollte immer misstrauisch sein, dazu aber unbedingt einen entschlossenen Eindruck machen.

Ich nehme also innerlich Haltung an und öffne die Tür. Und da passiert es: nichts.

Die allumfassende Ruhe ist schnell erklärt: es ist gerade 5:00 Uhr. Warum ich so ausgeschlafen bin? Keine Ahnung. Bisher war es Karl, der mich auf dieser illustren Reise zuverlässig viel zu früh geweckt hat. Mal durch aufgeregtes Tippeln vor der kleinen Stufe zum Bett, mal durch Ablecken meiner ausgestreckten Füße, meistens beides zusammen. Immerhin kann er mir hier nicht ins Ohr atmen. Aber das ist neu: ich werde wach, bevor er es ist.

Der Scheinwerfer draußen ist der größte, den die Regie auftreiben konnte – es scheint tatsächlich die Sonne.

Der Platz und alle Insassen schlafen noch. Zu unserer Rechten erhebt sich ein sanfter, sattgrüner Hügel. Nur ein paar rote und gelbe Zelte stehen darauf, eingehüllt in den gleißenden Schein der gerade aufgehenden Sonne.

Zur anderen Seite ein ähnliches Bild: eine satte Wiese, nur ein paar Wohnmobile glänzen weiß in der Sonne. Weit genug entfernt, dass ich nicht erkennen kann, was darin gerade vor sich geht. Schade eigentlich.

Rache ist süß: ich schleife den müden Karl aus seinem Körbchen und gehe eine kleine Runde über den Platz mit ihm. So still und von der Morgensonne ausgeleuchtet wirkt das „CampoDrom“ noch grotesker.

Wir hatten tatsächlich Glück: auf der anderen Seite des Platzes ist es brechend voll, Camper und Wohnwagen reihen sich dicht an dicht, Vorzelte und Markisen reichen sich hier schüchtern die Hände. Ob deren Bewohner es ebenso machen, weiß ich nicht. Die leeren Flaschen auf den Tischen und am Boden lassen eher eine intensiv besiegelte Brüderschaft vermuten.

Ich koche mir einen Kaffee, sitze in der Sonne, freue mich auf den geheimen Top-Stellplatz, den wir heute finden werden und schreibe ein wenig. Eigentlich ist es perfekt – wenn man(n) seinen Kopf mal für ne Weile ausschalten könnte.

Es ist doch so: wir sind mit einer ganz klaren Vorstellung losgefahren. Total romantisch übrigens, diese Vorstellung. Nämlich genau so, wie Du Schweden in allen Foren, Gruppen, Reiseführern und Erzählungen präsentiert bekommst: einsame Seen, strahlender Sonnenschein, nordischer Charme und unendliche Ruhe. Den ganzen Tag gehst Du angeln, fängst die größten Fische, Elche sagen Dir guten Morgen und Deine Crew überlässt Dir freiwillig das schönste Steak vom Grill.

Letzteres ist übrigens tatsächlich so. Bei Karl nicht ganz freiwillig, aber nun. Irgendwas ist ja immer.

Die Realität weicht leider geringfügig von diesem perfekten Plan ab. Es regnet und stürmt seit Tagen, die Mannschaft ist hungrig und genervt und Du stolperst von einer Planabweichung in die nächste. Das ist auch irgendwie lustig, muss aber auch erstmal in meinem Kopf ankommen.

Dass wir mit Walter das erste Mal auf großer Tour sind, überhaupt das erste Mal länger zusammen unterwegs, das erste Mal in Schweden und das erste Mal mit ganz klaren Vorstellungen (oder sollte ich Erwartungen sagen?) reisen, werde ich erst später begreifen. Jedenfalls könnte ich mit diesen ganzen „ersten Malen“ ein halbes Jahr Dr. Sommer in der Bravo vertreten. Und „das erste Mal tut noch weh“ ist mir bisher auch nicht wieder eingefallen – es gab einfach zu lange keine Schlagerpartys mehr.

Auch dass in Schweden, Deutschland, Holland und Norwegen gerade Ferien sind, wir irgendwie noch immer mitten in einer Pandemie stecken und Flugreisen somit gerade uncool sind – Wohnmobile dafür um so cooler – haben wir mit unserer rosa-blauen-Wunschbrille bisher nicht gesehen. Kommt aber noch, nur später.

Im hier und jetzt sitze ich vor Walter auf einer Wiese in der Sonne und träume von …. „na, home office? Hahaha. Klapp dat Schläpptop zu und mach ma Urlaub, so wie icke!“

Ich schaue hoch und blicke auf einen Bauch. Einen dicken Bauch, mit vielen schwarzen, borstigen Haaren darauf. „Meinen Rasierer bekommst Du nicht“ schießt es mir durch den Kopf, als ich weiter hoch schaue und erkenne, wie wichtig diese spontane Eingebung war. Vor mir steht DAS Klischee eines Campingplatz-Campers. Runder Kopf mit einem fein ausgedünnten Hubschauber-Landeplatz darauf. Direkt darunter eine knubbelige, dicke Nase, ein stolzes Mehrfachkinn und dann beginnt auch schon die Teppichfliese, welche sich über die Schultern, den Rücken und eben jenen sehr präsenten Bauch erstreckt.

Um den Hals hat er sich locker das rot-grün-weiße Handtuch gelegt, welches ihm Mutti vor 32 Jahren als Aussteuer mitgegeben hat.

„Guten Morgen. Sobald die Mannschaft hier wach ist, geht es los mit dem Urlaub. Ich schreib nur noch schnell ein wenig. Du bist aber auch schon früh unterwegs – im Urlaub…“ versuche ich mich ungelenk in Smalltalk.

„ick musste pinkeln, dat Bier muss ja auch wieder raus, wa?! Wann seid Ihr denn angekommen? Hab Euch noch gar nicht gesehen hier.“

„Gestern Abend, heute geht es weiter Richtung Norden.“

„Watt wollt Ihr denn da? Hier iss es doch och schön. Ick mag Schweden, komm schon seit 6 Jahren hier her off den Platz. Naja, schönen Tach noch“ und schlappt weg, die weißen Tennissocken leuchten in der Sonne und den dunkelblauen Aldiletten.

Drei Stunden, eine ausgiebige Luxusdusche, eine Waschmaschinenladung inkl. Trockner und vollständige Ver- und Entsorgung später fahren wir los. Unverändert scheint die Sonne, die Stimmung ist gelöst und hoffnungsvoll.

Das Navi sagt 1,5 Std. Fahrt bis zu unserem Ziel. Das freundliche Pärchen aus dem Bushäuschen bei Regen hat uns einen Stellplatz empfohlen, auf dem sie selbst drei Tage gestanden haben. Allein, direkt am Ufer eines traumhaften Sees, Geheimtipp.

Walter schnurrt, die Straßen sind befestigt und wir haben sogar in Ruhe gefrühstückt.

Der Weg führt uns durch das Schweden, welches wir im Kopf haben: überall Bullerbü, rotweiße einsame Häuser am Waldrand (oder mittendrin). Wir philosophieren darüber, warum hier praktisch alle Häuser die selbe Farbe haben. Mein erster Tipp: früher war das Walblut, und das haben die einfach beibehalten. Doch bevor meiner geliebten Reiseleitung noch übel wird, habe ich eine zweite Theorie. Irgendwas mit Steinen. Steine gibt es hier ja genug, vielleicht haben die Schweden damit irgendetwas gemacht und rote Farbe ist übrig geblieben.

Tante google gibt mir (fast) Recht. Die typische, rote Farbe ist ein Abfallprodukt der Kupfergewinnung, welche in Schweden wohl recht intensiv betrieben wurde.

Wir fahren durch ein Naturschutzgebiet, durch Wälder, vorbei an größeren und kleineren Seen und können uns gar nicht satt sehen an dieser Bilderbuchidylle aus Natur, Landschaft und Minidörfern.

Pünktlich wie die Eisenbahn kommen wir an einen wirklich traumhaften See, ganz anders als alle anderen Seen bisher – das Wasser ist nämlich türkisblau. Hier gibt es am Ufer immer wieder ein paar Buchten, in den man herrlich stehen kann.

Könnte – wenn sie denn frei wären. Der Geheimtipp scheint nicht ganz so geheim zu sein, alles, wirklich alles ist voll. Wir passieren mehr als eine handvoll traumhafter Stellplätz – als wären sie direkt aus unserer Vorstellung erschaffen worden. Offensichtlich sind wir nicht die einzigen mit einer solchen kitschig-romantischen Vorstellung. Keine Chance. Nicht mal in zweiter Reihe. Alles belegt und als uns ein Altcamper-Paar frech angrinst und eine mehr als unfreundlich-ausladende Handbewegung macht, reicht es uns für heute.

Die Stimmung zieht sich ebenso zu wie der Himmel über uns. Sehe ich da erste Tropfen? Auf der Windschutzscheibe? Oder hinter meiner Sonnenbrille?

alle Wege führ’n ins CampoDrom

(04.08.2021)
Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt. Und das hatte nichts damit zu tun, dass auf dieser Party gleich „Atemlos“ gespielt wird. Nein, in uns beiden kochte es tatsächlich. Es war 23:00, wir waren mal wieder 5 Std. unterwegs und standen jetzt auf einer schwedischen Autobahnraststätte.

Das bedeutet hier: von der Autobahn geht ein kleiner Schotterwegs ab, dieser führt zu einem irgendwie befestigten Platz. Das wars. NATÜRLICH liegt der Parkplatz an irgendeinem verkackten See, der sogar noch ganz hübsch anzuschauen ist.

„this ist the worst place in sweden I have ever seen“ erzählt mir ein Schwede, der hier mit seiner Familie ebenfalls Pause auf der Durchreise macht. Danke! Ich wollte hier nur am Ufer im Geröll sitzen und schlechte Laune haben. Mit miesen Plätzen kenne ich mich selbst aus.

Als Strafe gibt’s (wie früher bei Muddi) „ohne Abendessen ins Bett“. Aber nur kurz, denn ich wache wie immer um kurz vor 6 auf, reiße Walter und damit die gesamte Crew aus dem Schlaf und fahre los. Kurz huscht mir der Gedanke durch den Kopf, direkt wieder zur Fähre und damit Richtung Heimat zu fahren. Aber es kann ja nur besser werden.

Die trotz allem immer noch geliebte Reiseleitung wünscht sich neben Schlaf, Sonne, etwas zu essen, den perfekten Platz und Ruhe vor allem eine Dusche. Also hat sie einen entsprechenden Stellplatz ausfindig gemacht, zu dem ich Walter missmutig lenke.

Irgendwie kommt mir der Weg bekannt vor – und tatsächlich. Wir fahren wieder am Ortsschild von „Björneborg“ vorbei, und um kurz vor 7 rollen wir auf einen größeren Platz am Ufer des „Vännern“, dem größten See hier in der Region. Hier ist Platz für 11 Wohnmobile – aber keiner für uns. Alles belegt. Wir beschließen zu warten und frühestens 8:00 den Platzwart anzurufen, dessen Telefonnummer neben tausend Verhaltensregeln auf einer großen Tafel steht.

Der Platz ist nett und hat alles, was man braucht. Einen kleinen Strand (für Hunde verboten), eine Dusche (Tür wieder abschließen), ein kleines Café (nicht in Badekleidung betreten), Strom (im Preis inbegriffen), und einen traumhaften Blick auf den See (der mich viel zu sehr an die deutsche Ostseeküste erinnert).

Aber ich bin ungerecht, der geliebten Hausbesetzerin gefällt der Platz tatsächlich sehr gut. Ich bin nur noch nicht soweit.

Wir sitzen schweigend rum, gehen mit Karl spazieren, sitzen rum, ich gehe nochmal mit Karl, die Reiseleitung telefoniert.

Wir haben Glück – bis zum Mittag sollen fast alle anderen Camper abreisen. Sogar der Himmel reißt auf und jemand, den wir lange vermisst haben, betritt zögerlich die Szene: die Sonne.

Nach weiteren zwei Stunden warten, mit Karl gehen, warten und schweigen ergattern wir tatsächlich den besten Platz vor Ort. Wir haben ausreichend Abstand zu den anderen Campern und zu zwei Seiten einen freien Blick auf die Ostsee …. ähm den Vännern-See. Neben uns ein riesiges Wohnmobil, aus dessen Fenster drei große Hunde schauen.

Der Stellplatz, ein kleines Frühstück und die steigende Laune der Reiseleitung versöhnen mich ganz langsam mit diesem Ort. Die inzwischen mutig gewordene Sonne tut ihr übriges.

Wenn schon, denn schon“ denke ich und fange an, unser ganzes Geraffel auszupacken: Stühle, Tisch, Sofa. Eine halbe Stunde und einen Muskelkater später sinke ich aufs Sofa und liege einfach in der Sonne. Herrlich!

„lass das, ich gehe später duschen“ rufe ich, als es plötzlich schattig wird und mich ein paar Tropfen im Gesicht treffen. Kaum hat die geliebte Platzbesetzerin geduscht, wird sie schon wieder kiebig und schüttelt ihre nassen Haare über mir aus. Aber ich bekomme keine Antwort, stattdessen tropft es weiter. „kann die sich nicht abtrocknen? Ich hab keine Lust auf rumalbern“ denke ich mir, während ich schläfrig die Augen öffne. Aber da ist niemand. Und dieser Niemand hat die Form einer fetten, dunklen Wolke, die gerade Lust bekommt, über uns abzuregnen.

Zu dem einen Niemand gesellen sich schnell ganz viele und es fängt herzhaft an zu regnen. Ich eile hinein und nun liegen wir bäuchlings auf dem Bett und schauen hinaus in den Regen – natürlich vor der malerischen Kulisse des Sees, welcher inzwischen Schaumkämme trägt.

Der Regen geht, der Wind bleibt. Und es ist kalt. Wir bleiben also liegen und schauen weiter. Das ist wie auf ein Kissen gelehnt am Fenster eines 5stöckigen Mietshauses – nur beim Camping.

Endlich passiert auch etwas: ein schnauzbärtiger, kleiner Mann steigt aus dem Nachbar-Wohnmobil und macht sich an seinem Kofferraum zu schaffen. Er steckt irgendwelche grünen, weißen und roten Gummirollen in seine kakifarbene Weste, hängt sich eine Pfeife um den Hals und nimmt Haltung an.

Strammen Schrittes geht er zu seinem Riesen-Wohnmobil, öffnet die Tür und nach einem kurzen Schnippen springt einer der drei großen Hunde heraus.

Der Hund klebt an seiner Seite wie ein Magnet. Auf der großen Wiese vor uns bleibt der Typ stehen und hebt wie beiläufig die linke Hand, nur ganz wenig. Sofort setzt sich der Hund hin – und bleibt sitzen. Karl würde nicht mal sitzen bleiben, wenn er dafür Leckerlies bis zum Platzen bekommen würde. Der kleine Napoleon geht auf der Wiese 50m nach rechts, 100m nach links, vier Schritte vor und 20 Schritte zurück. Und überall dort platziert er die bunten Gummiwürstchen, aufmerksam von dem brav sitzenden Hund beobachtet.

Als er zurückkommt, reicht ein kurzes Nicken und der Hund steht unvermittelt auf. Auf ein weiteres, Nicken, was eher wie ein Krampf im Nacken aussieht,  folgt er dem Herrchen auf seinem Marsch über die Wiese. Und es ist ein Marsch – unvermittelt wechselt das kleine Männchen mit der strammen Haltung die Richtung, meistens um 90°. Irgendwann bleibt Napoleon abrupt stehen, winkelt den rechten Arm nach vorne ab, die flache Hand mit der Kante wie zu einem Karateschlag bereit. Und steht dort wie ein Zinnsoldat.

Plötzlich – zack – die Karatehand schnellt nach vorne dass ich es fast durch die Luft zischen höre. Der Hund schießt los und genauso schnell kommt er zurück – die grüne Gummiwurst im Maul. Brav legt er sie dem Herrchen in die Hand und setzt sich hin. Achtlos wird die Gummiwurst in der Westentasche verstaut. Dann das selbe Spiel: Marschieren, Richtungswechsel, Karateschlag und der Hund schießt los. Fehlt nur noch die Marschmusik bei dieser perfekten Parade.

Nach 15 min ist alles vorbei. Ein schriller Pfiff durchschneidet mein ungläubiges Staunen. Der Pfiff scheint das Kommando zu sein, sich zu freuen. Der Hund springt an Herrchen hoch, freut sich überschwänglich und wird sogar geherzt. Für exakt 20sek. Ein weiterer Pfiff und die Show ist vorbei. Dachte ich. Denn nachdem Hund 1 auf Kommando ins Wohnmobil springt, geht das Speil von vorne los. Hund 2 und 3 folgen. Ich gehe kurz zu Karl, der sich in seinem Körbchen streckt und wohlig grunzt. Demonstrativ lege ich ihm eine besonders leckere Kaustange dazu – er weiß zwar nicht warum, freut sich aber trotzdem. Deutlich länger als 20sek.

Dank Regen, Wind und Kälte haben wir genug Zeit, uns über den Hundenazi zu philosophieren. Lästern soll man ja nicht. Aber ernsthaft: der war doch früher bei der Stasi. Das Nummernschild zeigt jedenfalls Gera als Heimathafen. Ob er seine Frau auch mit einem kurzen Pfiff …. Ach egal.

Der nächste Morgen präsentiert sich kühl, windig – und trocken. Spontan möchte ich einen Prosecco aufreißen. Verkneife ich mir aber, denn Frau Hundenazi steigt gerade mit zwei prickelnden Gläsern aus dem Wohnschiff und trägt es zu IHM, der an einem mit weißer Tischdecke gedeckten Klapptisch sitzt, das Glas ohne erkennbare Miene entgegennimmt und in einem Zug leert.

Bevor wir – ohne es zu merken – auch noch Haltung annehmen, wird es Zeit zu fahren.

Aber wohin? Das Wetter ist unverändert kalt und mies. Die Wetterkarte verspricht, dass es überall in der Region auch so bleibt. Wie wäre es also mit einem Ausflug in die Stadt? Örebro liegt etwa 1,5 Std. entfernt und soll eine schöne, typisch schwedische, kleine Stadt sein. Ist es aber nicht. Ein Schloss, was aussieht wie eine Trutzburg, steht mitten drin. Drumherum: eine langweilige Standardkreisstadt. Nach einer knappen Stunde sind wir vor allem froh, dass es nicht regnet.

Geld ausgeben. Geld ausgeben hilft. Und weil uns die Stadt nicht dazu animiert, flüchten wir uns verzweifelt auf den nächstgelegenen Campingplatz. Dort soll es eine Therme, ein Restaurant und viel Platz geben.

Das erste Schild welches ich sehe, nachdem wir die Reception passiert haben, ist CAMPODROM. Naja, es ist kein Schild, es ist eine Wand. Alles hier ist zu groß, zu bunt, zu viel. Das hier ist Disneyland für Camping.

Wir finden aber einen großzügigen Platz, überraschend ruhig und fast ungestört. Wir beschließen, für eine Nacht hier zu bleiben und mal so richtig abzusahnen. Für den Preis einer Nacht bekommt man anderswo ein Doppelzimmer mit Meerblick und fettem Frühstück. Wir bekommen Luxusdusche, Strom satt, alle denkbaren Ver- und Entsorgungen und sogar ein eigenes Badehäuschen für Hunde.

Wir nutzen einfach alles dreimal, dann hat sich das hier gelohnt. Gesagt, getan. Und als Dank für unser Durchhaltevermögen kommt sogar die Sonne durch.

Ab morgen wird es schön, richtig geil. Beschließen wir. Denn wir haben einen Geheimtipp für ein ganz besonders schönes Plätzchen bekommen. Gar nicht weit weg, nur 1,5 Std. Fahrt. Ich freue mich auf morgen und schlafe trotz Campingdisco zufrieden ein.

Pleiten, Pech und Perfektion

Das dumme an Erwartungen ist ja, dass man(n) sie hat. Das zweite dumme daran ist, dass jeder so seine ganz eigenen hat. In dieser Hinsicht könnte man unsere kleine Reisegruppe als ausgesprochen differenziert bezeichnen.

Ganz so philosophisch fühlt es sich gerade nicht an, wir haben die letzten Tage einfach mal als „chaotisch“ zusammengefasst. Warum sollte es in Schweden auch anders sein als zuhause? Der blaue Zaun fährt mit – vor allem im Kopf.

Aber der Reihe nach. Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, Wasser. Es regnet die ganze Nacht in dem kleinen Fischerdörfchen, aber das stört uns nicht. Ob es am Wein lag oder daran, dass wir schon nass waren, weiß ich nicht mehr.

Der nächste Morgen präsentiert sich jedenfalls kitschig-schön. Ach übrigens: auch das können die Schweden, Kitsch. Mit ihren perfekten Sonnenauf- und untergängen sollten sie Postkarten verkaufen. Ach so, Mist. Postkarten schreibt ja heute kaum noch jemand. Jedenfalls nervt es kolossal, wenn Du dich so richtig schön reingesteigert hast, alles doof und ungerecht finden willst – und dann kommt da so ein perfekter Sonnenaufgang daher. Ekelhaft. Du musst es einfach schön finden. Und vergisst ganz nebenbei, dass du dich eigentlich ärgern wolltest.

Der Sonnenaufgang macht Hoffnung, mir jedenfalls. Noch schnell das ein oder andere erledigen, ein perfektes Räucherfisch-Frühstück und dann fahren wir rechtzeitig los zu einem traumhaften Stellplatz, allein am See mit Sonnenschein, Weltfrieden und freier Liebe. Hat das in den 68ern damals eigentlich geklappt? Ich bin mir nicht sicher. Bei uns wird es so sein, ganz sicher.

Als ich mich auf den Weg zum Fischer mache, um das perfekte Frühstück zu organisieren, werde ich gebeten ein paar 10er Kronenmünzen zu tauschen, für die Waschmaschine. Der erste Knick im Universum – aber das ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es ist selbst mir völlig klar, dass wir die Handtücher, die wir gestern zum Hochwasserschutz eingesetzt haben, waschen und trocknen müssen, bevor es weiter geht. Passt ja auch alles. Es ist noch früh am Morgen und während wir in Räucherfisch schwelgen, läuft ganz nebenbei die Maschine. In spätestens zwei Stunden können wir los.

Der Fisch ist perfekt – nur die Waschmaschine ist besetzt. Na gut, ein wenig Verzögerung gibt’s ja immer. Irgendwann gegen Mittag sind die Handtücher gewaschen. Das Universum meint es gut mit uns – es gibt auch einen Trockner. „dann könnten wir doch auch die T-Shirts noch schnell …“

Ja klar, kein Problem. Der rausgesuchte, perfekte Stellplatz am See ist ja nicht so weit weg. Und so ein kleines, niedliches Fischerdorf ….

…. wird ab Mittag brechend voll. Auch in Schweden sind Ferien und das hier ist offensichtlich ein beliebtes HotSpot. Ich mag es, wenn alle 2min ein Auto vor mir einparkt und gut gelaunte Familien – sprich lärmende Kinder und erziehungsbemühte, ebenso laute Eltern – ausspuckt.

Was ich an der geliebten Hausbesetzerin, neben vielen anderen Eigenschaften, so bewundere, ist ihr Timing. 5 Minuten vor dem prognostizierten Ende der Trocknerlaufzeit geht sie los, um die fertige Wäsche zu holen. Und dann können wir auch schon los.

Ich mache Walter derweil reisefertig. Ich hätte in der Zeit das ganze Haus mit dem blauen Zaun renovieren können, solange bleibt die geliebte Hausbesetzerin fort.

Irgendwann kommt sie zurück und jetzt sehe ich sie, schon von weitem: die Delle im Universum:

„ich brauche mal Deine Hilfe, da ist kein Strom“ sagt das Universum fast flehend.

Ich mag es ja, der Problemlöser zu sein. Ich mag aber auch perfekte Stellplätze am See.

Naja, erst das eine, dann (vielleicht) das andere. Der Trockner ist tot, die Wäsche nass. Zwei Maschinen Handtücher und T-Shirts. Schön sauber, aber klatschnass. Irgendwann finden wir den Knopf der Erlösung, welcher den Überhitzungsschutz wieder aufhebt und sich an der kochend heißen Rückwand des alten Trockners befindet. Und der möchte alle 10min gedrückt werden. Aber das finden wir erst zwei Stunden später raus. Zunächst gehen wir davon aus, dass ab jetzt alles läuft. Inkl. Trockner.

Zwei Stunden später: nach einem Besuch im völlig überfüllten, örtlichen Café, einem lauschigen Moment in der Sonne zusammen mit hunderten aufgeregten Kindern ist alles wie vorher: die Wäsche halb nass, wir spät dran und genervt.

„wir machen das jetzt so: die T-Shirts hänge ich auf Bügel, die Handtücher nehmen wir so und später trocknen wir einfach alles in der Sonne“. Ich mag pragmatische Ansätze, ich mag meine Mannschaft und mit einem Wohnmobil als Wäschekammer komme ich klar.

Mit einer minimalen Verzögerung von 5 Stunden fahren wir los. Ich freue mich schon auf den perfekten Schweden-Moment: ein einsamer See, Ruhe und einen selbst gefangenen Riesenfisch auf dem Grill. Selbst auf den obligatorischen Sonnenuntergang an eben jenem See kann ich mich schon wieder freuen.

Walter schnurrt, Karlchen schläft und das Navi sagt, in 3 km rechts abbiegen.

Meistens folge ich ja brav, wenn eine Frauenstimme mir sagt, was ich tun soll. So auch diesmal. Walter stolpert kurz, denn von der Autobahn geht es direkt á mente auf eine Schotterpiste quer durch den Wald. Kein Grund zur Sorge, Walter ist ganz anderes gewohnt und Schotterpisten gehören in Schweden zum normalen Straßennetz. Wir fahren durch einen traumhaften Wald, ich genieße den Anblick und klatsche mich selbst innerlich ab – denn genauso habe ich mir das vorgestellt. Dass sich rechts neben mir eine ganz leichte Verspannung aufbaut, merke ich in meiner Euphorie gar nicht.

„Wenn wir jetzt noch einen Elch sehen, wird es ein Björni-Tag“ plappere ich in die Stille, gerade als wir an sowas ähnlichem wie einem Ortsschild vorbeifahren. Der Ort heißt „Björneborg“.

Den Ort passieren wir zügig, weiter geht es durch den Wald und irgendwann rechts ab. Auf eine noch etwas schmalere Schotterpiste. Irgendwann sagt das Navi „in 300m rechts abbiegen, dann haben Sie das Ziel erreicht.“

„Das Ziel“ ist eine Treckerspur, welche einen leichten Abhang hinab zu einem See führt. Jetzt nehme ich auch die nicht mehr ganz so leichte Verspannung neben mir wahr. Ich bringe Walter zum Stehen und steige mit dem Versprechen aus, den kurzen Weg zunächst zu Fuß zu erkunden. Sicher ist sicher.

Ich gehe hinab und finde mich an einem der schönsten Plätze wieder, die ich je gesehen habe. Eine sanfte Lichtung am Ufer eines spiegelglatten Sees. Rechts und links ein paar Birken, dahinter dichter, sattgrüner Wald. Einsamer, kitschiger und perfekter könnte es nicht sein.

Der Platz hat eine Feuerstelle, zwei urige Boote liegen im Schilf und es ist gerade so viel Platz, dass Walter sein neues Kunststück – auf der Stelle zu wenden – unter Beweis stellen könnte. Die Sonne macht sich schon bereit, kunstvoll hinter den Bäumen am anderen Ufer des Sees zu versinken.

Ich laufe zurück, rutsche auf dem feuchten Waldboden fast aus und bedeute meiner Mannschaft, dass dies der perfekte Platz für all unsere Vorstellungen von Schweden ist. Aufsitzen, Motor starten, runter schaukeln.

Wir hatten uns bisher noch nicht darüber unterhalten, was genau wir eigentlich mit „perfekt“ meinen. Auf jeden Fall stellt sich heraus, dass es feine Unterschiede gibt.

Nach einem kurzen Moment des Abwägens kommt für Walter die Ansage „bitte wenden“. Und die Stimme kommt diesmal nicht aus dem Navi. Als hätte er nie etwas anderes getan, wendet Walter auf der Stelle und setzt an, den Weg zurück auf die Schotterpiste zu nehmen.

War es vorhin eigentlich auch schon so rutschig hier, als wir angekommen sind? Hmm. Ich kann mich nicht erinnern, weiß aber, dass akademische Betrachtungen uns jetzt nicht weiter bringen.

Walter gibt alles, rutscht nach 2 Metern vorwärts aber wieder 4 Meter zurück. Wir versuchen es nochmal, und nochmal. Der Dreck spritzt, Walter stöhnt und die Räder drehen auf der Stelle. Eine hübsche Rinne haben wir da ausgefahren, stehen aber immer noch auf der Hälfte des Weges.

Innen herrscht eisiges Schweigen. Da hilft nur entschlossenes Handeln. Aber was genau? Erstmal aussteigen. Und entschlossen gucken. Auf eine nasse, rutschige Piste, 3,6 t Lebendgewicht, Sommerreifen und Vorderradantrieb. Perfekt – um einfach nicht dort hoch zu kommen.

Ich krame gedanklich in meinen Erinnerungen. Was haben wir denn früher gemacht? Als ich mit meinem Trabi und einem viel zu großen Boot auf dem Anhänger am See stecken geblieben bin? Wir haben das Boot stehen gelassen und sind rückwärts durch den Schlamm gerobbt. Außerdem haben 2 Mann geschoben. Alles keine Option.

Also stapfe ich in den Wald, suche und finde trockene Birken- und Kiefernäste. Die drapiere ich kunstvoll, quer zur gewünschten Fahrbahn, über die schlimmsten Stellen auf unserer Schlammpiste.

Ich habe Vertrauen zu Walter, zu mir und zum Universum – auch wenn es gerade mehr als deutliche Dellen hat. Diese äußern sich nicht nur dadurch, dass wir hier feststecken. Aber dafür habe ich gerade keine Zeit.

Ich lasse Walter ein wenig zurückrollen, denn mit ein wenig Schwung im Leben habe ich doch schon so vieles erreicht.

„Los Walter, dass schaffst Du“ …. rede ich hier tatsächlich gerade mit einem Wohnmobil? Ja!

Und es hilft. Walter heult auf, der Dreck spritzt am Fenster vorbei, aber wir bekommen Schwung. Und schieben uns Zentimeter für Zentimeter voran. Als wir uns endlich über den trockenen Reisig schieben, packt Walter kraftvoll zu, heult auf und zieht uns die letzten Meter auf die rettende Schotterpiste.

„Würde ich nur mit Allrad empfehlen“ lese ich später in der App zu diesem Stellplatz. Ich würde neben Allrad vor allem empfehlen, die Wünsche an einen Stellplatz in der Reisegruppe etwas genauer abzustimmen.   

Inzwischen ist die Sonne untergegangen, wahrscheinlich ekelhaft schön mit einem sanften Platsch in irgend einen See. Davon sehen wir aber nichts, denn wir sind mitten im Wald. Auf dem Weg zu einem x-beliebigen Parkplatz, der uns ein wenig Ruhe für die Nacht gibt. Aus dem perfekten Stellplatz ist inzwischen nur noch der Wunsch geworden, zu stehen. Irgendwo.

Der nächste Parkplatz ist nur 3 km entfernt. Wenn man sich nicht hoffnungslos im Wald verfährt. Dann sind es 12. Irgendwann kommen wir trotzdem an. Inzwischen ist es dunkel. Aber so sehen wir wenigstens nicht, wie scheiße dieser Parkplatz ist.

Wasser marsch!

Also wäre das auch geklärt: die Schweden können nicht nur Knäckebrot, frischen Fisch und süße Plunderteilchen in Perfektion. Nein, sie können auch Gewitter, aber so richtig!

Nach dem Kulturschock auf dem MegaCampingplatz in Askim wollten wir nur eins: weg

Symbolträchtig haben wir unseren ganzen Sch… auch gleich da gelassen, also einmal ordentlich ver- und entsorgt und alle Tanks frisch aufgefüllt.

Karlchen hat sich nochmal ordentlich ins Gebüsch gehockt und dann wurde es aber auch Zeit, loszufahren. Schranke hoch, Walter durch, gute Fahrt.

Es geht Richtung Norden, an die Südspitze des Vänern-Sees. Dort soll es ein kleines, süßes Fischerdorf geben, mit ein paar Stellplätzen direkt am Hafen.

Ein kalter Entzug von dem, was wir Zivilisation nennen, war uns dann aber doch zu hart. Deshalb haben wir auf dem Weg noch schnell bei einem dieser MegaShoppingCenter angehalten. Auch bei einem reduzierten Leben muss man ja irgendwas essen. Und wenn gerade kein Wald mit Pilzen, Blaubeeren und Kräutern in der Nähe ist, können wir genauso gut unserer Lust auf geiles, abgepacktes Zucker-Salz- und Fettessen frönen. Außerdem waren wir neugierig, was man in einem schwedischen Megastore so alles entdecken kann.

Zunächst die alten Bekannten: von Nivea über Haribo, Milka, Kelloggs und Knorr gibt es hier alles, was die Supermärkte auch in Deutschland und wahrscheinlich ganz Europa dominiert.  

Aber dann wurden wir fündig, am Ende hatten wir fast nur schwedischen Schweinkram im Wagen: Schmelzkäse aus der Tube, wahlweise in den Geschmacksrichtungen Hummer, Petersilie, Elchsalami oder Bacon. Hunderte Sorten Knäckebrot, Fisch und Garnelen als Salat, Paste, in der Dose, getrocknet, geräuchert, gepökelt oder als Chips. Herrlich klebrigen Blaubeerrührkuchen. Und das Highlight: Zimtschnecken. Die Hamburger Morgenpost wählt ja jedes Jahr das beste Franzbrötchen der Stadt. Sorry, aber ihr müsst weinen gehen: diese Zimtschnecken hier vom Bäcker sind der Himmel auf Erden!

Ein Mitglied dieser illustren Fahrgemeinschaft behauptet ja, ich sei essensverliebt. Ich sag mal so: gestern Abend hatte ich eine Orgie.

Das gute daran, essensverliebt zu sein ist ja, dass man trotz unübersehbarem Bauchansatz und fettigen Fingern ständig Dates haben kann. Mein nächstes wartete schon in Spiker, dem kleinen Fischerdorf zu dem wir fahren wollten.

Als wir ankommen, finden wir einen Platz mit direktem Blick auf den kleinen Hafen. Romantisch, fast kitschig ist es hier. Da Walter, das Wohnmobil ja frisch versorgt, aufgefüllt und aufgeräumt ist, haben wir keinen weiteren Auftrag. Schnell noch die Luken auf, frische Luft reinlassen und rüber zum Hafen. Der Versorgungsbeauftragte des Nachbarcampers kommt gerade mit vollen Tüten zurück und erzählt seiner Frau, dass er viel zu viel Räucherfisch gekauft hat, aber der hält sich ja ein paar Tage.

Es gibt zu viel von irgendwas? Vor allem von Räucherfisch? Menschen sind sonderbar.

Wir schlendern durch den Hafen und sind ganz entzückt. Karlchen schnuppert voran, geradewegs zu einer kleinen Hütte mit einem vielversprechenden Schild vor der Tür. Ich kann zwar kein Schwedisch, aber der verliebte Blick eines hungrigen Kenners entdeckt sein nächstes Date auch ohne Worte.

Alter Schwede, wenn ich Walter nicht so verbunden wäre, würde ich hier einziehen: Räucheraal so dick wie mein Oberarm, Lachs so frisch, glänzend und saftig wie … egal. Dorsch, Hering und Zander in allen Variationen. Ich kann mich gar nicht entscheiden.

Zum Glück reise ich ja nicht allein, sondern die Vernunft in Form der geliebten Hausbesetzerin ist auch mitgekommen. Wir beschließen, dass der Fisch unsere Frühstücksorgie wird und es morgen früh ein Wiedersehen geben wird.

Wir schnüffeln noch ein wenig weiter durch den Hafen, als uns ein paar Tropfen treffen. Ein kurzer Blick nach oben verrät: oh ha! Während uns beim Räucherfisch das Wasser im Mund zusammengelaufen ist, haben sich da oben ganz andere Wasserquellen versammelt. Und dann geht es auch schon los, die Schleusen werden geöffnet. Wir schaffen es auf etwa 200m bis zu Walter, dann müssen wir uns in ein kleines Buswartehäuschen flüchten, wenn wir nicht wegespült werden wollen. Es blitzt und donnert, als würde Thor dort oben seine Hochzeit feiern.

Nach 20 min wage ich einen Blick aus dem Häuschen: keine Besserung in Sicht, die Party hat gerade erst begonnen.

Durch den Vorhang aus Wasser schlüpft ein freundliches Paar im besten Alter. Es stellt sich heraus, dass sie aus der Stadt kommen, in der ich großgeworden bin. Wir plaudern angeregt über die schönsten Plätze dort und in Schweden, ich bin ein wenig neidisch über die mehr als 4 Wochen Zeit, die die beiden sich für Schweden schon nehmen, während Karl Angst vor Gewitter und die geliebte Hausbesetzerin vor dem Wasser da draußen hat.

Wasser? Warte mal…. hatte ich vorhin nicht frische Luft in das Wohnmobil gelassen? Durch die Dachluke? Wo Luft rein kommt, kommt auch Wasser rein….

Es sind nur 200m bis zu Walter. Allerdings quer durch einen Wasserfall biblischen Ausmaßes. Andererseits ist es jetzt auch egal. Was jetzt noch offen ist, war auch vor 20min schon offen.

Frau und Hund durch die Fluten zu zerren ist keine Option, nicht für uns und auch nicht für das freundliche Paar. Er beschließt, zu ihrem Camper zu laufen und sie hier abzuholen. Sie wollen noch weiter und es ist schon recht spät.

Sein Angebot, mich mitzunehmen und uns alle ins Trockene zu fahren, lehnen wir leichtsinnig ab – es kann ja nicht mehr so lange dauern. Dachten wir. Gerade als die beiden fröhlich winkend davon fahren merken wir, wie blöd wir eigentlich sind.

Und schon wieder so ein Moment für „lass das mal den Papa machen“. Noch ein kurzes Zögern, aber dann überwiegt der Heldenmut: ich laufe los, versuche über Pfützen zu springen und lande doch mittendrin, so groß sind sie. Walter weint. Oder ist es nur der Regen, der in Sturzbächen an ihm herunter läuft?

Es ist der Regen – oder können Wohnmobile auch von innen weinen? Ich stehe mit den Füßen im Wasser, als ich die Tür endlich aufhabe. Das ist die perfekte Gelegenheit, endlich auch unsere Handtuchvorräte drastisch zu reduzieren. Fühlt sich ein wenig an wie in einem Sumpfgebiet, als ich die geliebte Hausbesetzerin und Karlchen an der Bushaltestelle abhole.

Irgendwie schaffen wir es, aus dem Amphibienfahrzeug wieder ein Wohnmobil zu machen. Und bei beschlagenen Scheiben, Kerze und Rotwein im Trockenen zu sitzen ist ja auch ganz romantisch.