in Gottes Namen

(07.08.2021)

„schnell, da! Da links rein“ rufe ich und mache eine Vollbremsung auf der Schotterpiste. Walter ist eingehüllt von Staub, die Schottersteine fliegen nur so um uns herum und ich sehe: nix. Naja, Staubwolken und Regentropfen. Und Karl von innen platt an der Windschutzscheibe.

Kurz vorher hatte ich noch zwei Dinge gesehen, mehr so aus dem Augenwinkel. Das erste war ein beige-weißer Camper hinter uns, der den Blinker links gesetzt hatte. Wie die Geier den sterbenden Elch umkreisen die gestressten Großstädter alle Seen auf der Suche nach dem perfekten Stellplatz, Ruhe und ihren ganz persönlichen Schwedenmoment. Und wir sind einer von ihnen.

Doch diesmal haben wir Glück, ich spüre es genau. Denn das zweite, was ich aus dem Augenwinkel gesehen habe, war ein winziges Holzschild mit einem handgemalten „P“ darauf. Und außerdem sind wir gerade an einem kleinen, flauschigen See vorbei gefahren. Ha! Das ist es!

Ich stehe also im Staub, der Camper hinter uns hat seine Niederlage eingestanden und den Blinker wieder abgesetzt. Stotternd schaukelt er vorbei. „nänännänänä“ möchte ich hinterherrufen, lasse es aber.

Erst jetzt traue ich mich, meine Beute zu erlegen und fahre weiter – hinein in den kleinen Wald auf einem nicht ganz so trockenen Trampelpfad.

Walter wird rechts und links von nassen Birken ausgepeitscht, aber das soll ja gut für die Durchblutung sein. Ein paar Meter und wir sind da: vor uns ein kleiner, lichter Platz, gerade eben so lang und breit wie Walter selbst. Auf der einen Seite ein Schilfgürtel mit einem winzig kleinen Pfad zum Wasser. Auf der anderen Seite der obligatorische, dichte Wald.

Ich bin vorsichtig optimistisch, öffne die Tür und springe heraus. Da habe ich meinen ganz persönlichen Schwedenmoment: ich stehe knöcheltief im Matsch.

Um es kurz zu machen: hier können und wollen wir nicht bleiben. Genau wie auf den anderen 6 Plätzen, welche wir noch anfahren. Meistens sind sie voll. Wir finden noch einen wirklich traumhaften Stellplatz, kommen aber nicht näher als 100m ran. Der große Stein in der Mitte des Weges hat die Form einer ägyptischen Pyramide – und würde uns zuverlässig den Unterboden aufreißen. Ich mag es zwar, unser Grauwasser schnell und effektiv zu entsorgen, aber so ein dauerhaftes Leck ist dann doch irgendwie uncool.

Ach ja: der Regen bleibt uns bei alledem natürlich treu.

Ein Blick auf die Wetterkarte und wir beschließen (mal wieder), noch ein Stück zu fahren. Dort soll die Regenwahrscheinlichkeit nur 75% betragen. Unser Ziel ist ein Schullandheim, welches während der Ferien erstmals großzügige Stellplätze anbietet. Direkt am See und mit Wald – natürlich!

Auch ein weiteres Naturgesetzt bleibt uns treu: jede Fahrt dauert 5 Stunden. Egal was wir vorher geplant haben. So kommen wir kurz nach Sonnenuntergang an. Vor uns liegt ein weitläufiger Platz, während der Schulzeit scheint dies der Sportplatz zu sein. Drumherum präsentieren sich typische Backsteinschulgebäude, rechts liegt ein Schotterparkplatz mit 4 Ladesäulen. Und da steht – der Blink-August von vor 3 Stunden. Touché!

Es ist wie angekündigt ein Schullandheim, und diesen Charme versprüht es auch. Ich fühle mich spontan wie der 8jährige Junge, der noch den Weitsprung absolvieren muss, um endlich das Sportabzeichen zu erhalten.

Ich bin zwar nicht mehr 8, sondern fast 47, aber der Entdeckergeist von damals ist geblieben. Schnell hefte ich mir das alte Sportabzeichen ans Revers, starte Walter und fahre über den Platz zu einem schmalen Weg am anderen Ende. Da muss doch …. natürlich ein Schild stehen: „Durchfahrt verboten“. Beim Umdrehen würge ich Walter ab und bleibe stehen – quer zum Weg, quer zu meiner Enttäuschung und quer zum Regen, welcher links vom See auf uns einprasselt.

Da erscheint ein altes, kleines Männchen mit Regenschirm neben meinem Fenster. Mit ihm zusammen eine nicht ganz so alte, aber ebenso kleine Frau im Friesennerz.

Ich kurble das Fenster herunter und erkläre dienstbeflissen, dass wir gerade umdrehen, wir suchen nach einem schönen Platz am Wasser, keine Sorge, hier darf ich ja nicht durch …. Blablabla

„Wie schön und wie dicht am Wasser?“ fragt das Männchen. Ich werde stutzig „den schönsten Platz den es gibt und ich möchte aus dem Fenster angeln“

„haha, den Platz suchen alle. Da links ist einer. Es ist zwar nicht DER Platz, den hier alle suchen und auch nicht so dicht am Wasser. Aber mit Strom. Der See hier hat die meisten Fische in ganz Schweden, auch ganz seltene. Weil er so tief und so kalt ist. Aber wir gehen sowieso lieber im Wald spazieren.“ erklärt mir das Männchen aufgeregt.

„Da steht ein Schild, dass ich nicht durchfahren darf.“ versuche ich noch einzuwenden, aber wir haben ja eh keine Chance. Irgendwo müssen wir diese Nacht ja bleiben.

„ich erlaube es Ihnen, ich bin hier der Pastor“

„In Gottes Namen, lass uns hier bleiben“ entscheidet die erschöpfte Reiseleitung. Der Platz ist im Rahmen der Möglichkeiten trocken, befestigt, gerade und es gibt einen Trampelpfad zum See.

Karl hüpft fröhlich hinaus, er findet den Platz super. So wie jeden Platz, an dem wir aussteigen. Wiese, Wald, Herrchen zum Toben und abends eine Kaustange. So ein Hundeleben hätte ich gerade auch gerne.

Ich nehme ihn mit und erkunde das Ufer dieses fischreichen, gesegneten Sees. Des Pastors warme Worte werde ich nicht überprüfen können. Denn überall ragen hier Steilufer empor. An Angeln ist hier nicht zu denken, da bräuchte es ein Boot. Und das liegt gut gesichert in einer kleinen Bucht gegenüber, wie ich später herausfinden werde. An Baden ist übrigens ebenso wenig zu denken. Der See ist tatsächlich arschkalt.

Ich kraxel die Felsen hinauf und betrete plötzlich ein Plateau. Ein atemberaubender Blick über den See lässt mich wie angewurzelt stehen bleiben. Ein großer Platz direkt auf den steil abfallenden Felsen. In der Mitte sind grobe Baumstämme zu einem Quadrat angeordnet, in dessen Mitte eine riesige Feuerstelle liegt. Auf dem am weitesten über dem Abhang ragenden Felsen ist ein schlichtes, riesengroßes Kreuz aus Baumstämmen aufgestellt.

Man könnte hier Opferrituale, Freiluftgottesdienste oder lustige Abende mit Gitarre und Rotwein am Feuer verbringen. Oder einfach einen Moment durchatmen, genießen und dankbar sein.

Der ganze Ort hat etwas Besonderes. Das kalte, tosende Wasser des großen Sees, die vielen Fische darin, welche sicher vor mir und meinen mangelhaften Angelkünsten sind. Der angrenzende Wald und der Zufall des freundlichen Pastors, der uns hier stehen lässt.

Heute Abend machen wir mal richtig Camping, es gibt Erbsensuppe aus der Dose, vor der offenen Tür ein Vorhang aus Wasser und im Hintergrund der tosende See. Wild-romantisch-nass-kalt-ok-für-eine-Nacht.

Am nächsten Morgen bin ich sehr früh wach. Die wilde Romantik wirkt vor Sonnenaufgang noch schroffer. Ich gehe eine sehr große Runde mit Karl und hoffe auf meinen Elch. Wenigstens das. Aber der Elch hat keine Lust auf einen blassen, unausgeschlafenen, norddeutschen Schwedenanfänger mit Hund. Der hat allerdings weiterhin Lust auf Schweden, wir müssen es nur noch entdecken.

Wir beschließen, einer schwedischen Stadt eine neue Chance zu geben. Das Wetter ist so mittel und wir sind in der Nähe einer ebensolchen Stadt, die uns neugierig gemacht hat.

Als wir in Linköping ankommen, reißt der Himmel auf und es wird zaghaft sonnig. Erstmal was geiles essen beschließen wir und wandern in die Innenstadt. Wir finden ein Restaurant mitten auf dem Marktplatz, lauschig unter Schirmen, die Ferkelwärmer heizen von oben und wir haben einen prima Ausblick auf einen Brunnen und die entspannten Menschen drumrum.

Es ist später Vormittag, das Restaurant hat gerade erst geöffnet und so sitzen wir, plaudern, genießen die Sonne und die Wärme der Strahler und warten auf die Karte. Rechts und links werden die ersten Getränke, kurze Zeit später das erste Essen gebracht. Hmm, komisch. Beim nächsten vollbepackten Tablett, welches der Kellner leichtfüßig an den Nachbartisch bringt, fragen wir nach der Karte.

„Sie können den Code hier scannen und mit Ihrem Handy bestellen“ sagt er freundlich, zeigt flüchtig auf einen winzigen Aufkleber auf unserem Tisch und verschwindet wieder.

Alles klar, wir scannen, scrollen, brechen den Bestellvorgang ab, scannen erneut und irgendwann haben wir es geschafft, online auszuwählen, zu bestellen und zu bezahlen. Keine 10 Minuten später haben wir ein wirklich gutes Essen, Getränke und keine Scherereien mit dem Bezahlen, als wir gehen wollen. Das ist echt cool. Wenn Du es einmal geschnallt hast, ist es herrlich einfach und modern. Der Charme des „bedient werdens“ im Restaurant geht ebenfalls nicht verloren.

Nach dem Essen schlendern wir durch das Städtchen und holen uns noch ein Eis bei „Gelato amore“. Na, wenn das kein Omen für die nächste Etappe ist.

geheimer Geheimtipp

(06.08.2021)

„oh Gott, ist etwas passiert?“

Ich schrecke hoch. Es ist verdächtig ruhig. Zu ruhig. Kein Pfeifen und keine Marschmusik vor dem Fenster, kein Regentrommeln auf dem Dach, selbst Karl liegt ruhig und friedlich in seinem Körbchen unter dem Tisch und leckt sich zufrieden …. die Pfoten. Das kann doch nicht sein. Wer hat in dieser Szene denn den Ton abgestellt und stattdessen einen viel zu großen Scheinwerfer direkt vor dem Fenster platziert?

Irritiert schleiche ich zur Tür, denke gerade noch rechtzeitig daran, mir etwas anzuziehen, bevor ich vermutlich in die nächste Katastrophe stolpere. So ist es doch immer: alles scheint ruhig und friedlich, nur ein scharfes Licht wirft lange Schatten, die Du leichtsinnig ignorierst. Du öffnest unbedarft die Tür.  Und zack – stehen die Schwiegereltern mit Kuchen davor. Oder die Nachbarn mit Weißwein. Oder so. Jedenfalls: man sollte immer misstrauisch sein, dazu aber unbedingt einen entschlossenen Eindruck machen.

Ich nehme also innerlich Haltung an und öffne die Tür. Und da passiert es: nichts.

Die allumfassende Ruhe ist schnell erklärt: es ist gerade 5:00 Uhr. Warum ich so ausgeschlafen bin? Keine Ahnung. Bisher war es Karl, der mich auf dieser illustren Reise zuverlässig viel zu früh geweckt hat. Mal durch aufgeregtes Tippeln vor der kleinen Stufe zum Bett, mal durch Ablecken meiner ausgestreckten Füße, meistens beides zusammen. Immerhin kann er mir hier nicht ins Ohr atmen. Aber das ist neu: ich werde wach, bevor er es ist.

Der Scheinwerfer draußen ist der größte, den die Regie auftreiben konnte – es scheint tatsächlich die Sonne.

Der Platz und alle Insassen schlafen noch. Zu unserer Rechten erhebt sich ein sanfter, sattgrüner Hügel. Nur ein paar rote und gelbe Zelte stehen darauf, eingehüllt in den gleißenden Schein der gerade aufgehenden Sonne.

Zur anderen Seite ein ähnliches Bild: eine satte Wiese, nur ein paar Wohnmobile glänzen weiß in der Sonne. Weit genug entfernt, dass ich nicht erkennen kann, was darin gerade vor sich geht. Schade eigentlich.

Rache ist süß: ich schleife den müden Karl aus seinem Körbchen und gehe eine kleine Runde über den Platz mit ihm. So still und von der Morgensonne ausgeleuchtet wirkt das „CampoDrom“ noch grotesker.

Wir hatten tatsächlich Glück: auf der anderen Seite des Platzes ist es brechend voll, Camper und Wohnwagen reihen sich dicht an dicht, Vorzelte und Markisen reichen sich hier schüchtern die Hände. Ob deren Bewohner es ebenso machen, weiß ich nicht. Die leeren Flaschen auf den Tischen und am Boden lassen eher eine intensiv besiegelte Brüderschaft vermuten.

Ich koche mir einen Kaffee, sitze in der Sonne, freue mich auf den geheimen Top-Stellplatz, den wir heute finden werden und schreibe ein wenig. Eigentlich ist es perfekt – wenn man(n) seinen Kopf mal für ne Weile ausschalten könnte.

Es ist doch so: wir sind mit einer ganz klaren Vorstellung losgefahren. Total romantisch übrigens, diese Vorstellung. Nämlich genau so, wie Du Schweden in allen Foren, Gruppen, Reiseführern und Erzählungen präsentiert bekommst: einsame Seen, strahlender Sonnenschein, nordischer Charme und unendliche Ruhe. Den ganzen Tag gehst Du angeln, fängst die größten Fische, Elche sagen Dir guten Morgen und Deine Crew überlässt Dir freiwillig das schönste Steak vom Grill.

Letzteres ist übrigens tatsächlich so. Bei Karl nicht ganz freiwillig, aber nun. Irgendwas ist ja immer.

Die Realität weicht leider geringfügig von diesem perfekten Plan ab. Es regnet und stürmt seit Tagen, die Mannschaft ist hungrig und genervt und Du stolperst von einer Planabweichung in die nächste. Das ist auch irgendwie lustig, muss aber auch erstmal in meinem Kopf ankommen.

Dass wir mit Walter das erste Mal auf großer Tour sind, überhaupt das erste Mal länger zusammen unterwegs, das erste Mal in Schweden und das erste Mal mit ganz klaren Vorstellungen (oder sollte ich Erwartungen sagen?) reisen, werde ich erst später begreifen. Jedenfalls könnte ich mit diesen ganzen „ersten Malen“ ein halbes Jahr Dr. Sommer in der Bravo vertreten. Und „das erste Mal tut noch weh“ ist mir bisher auch nicht wieder eingefallen – es gab einfach zu lange keine Schlagerpartys mehr.

Auch dass in Schweden, Deutschland, Holland und Norwegen gerade Ferien sind, wir irgendwie noch immer mitten in einer Pandemie stecken und Flugreisen somit gerade uncool sind – Wohnmobile dafür um so cooler – haben wir mit unserer rosa-blauen-Wunschbrille bisher nicht gesehen. Kommt aber noch, nur später.

Im hier und jetzt sitze ich vor Walter auf einer Wiese in der Sonne und träume von …. „na, home office? Hahaha. Klapp dat Schläpptop zu und mach ma Urlaub, so wie icke!“

Ich schaue hoch und blicke auf einen Bauch. Einen dicken Bauch, mit vielen schwarzen, borstigen Haaren darauf. „Meinen Rasierer bekommst Du nicht“ schießt es mir durch den Kopf, als ich weiter hoch schaue und erkenne, wie wichtig diese spontane Eingebung war. Vor mir steht DAS Klischee eines Campingplatz-Campers. Runder Kopf mit einem fein ausgedünnten Hubschauber-Landeplatz darauf. Direkt darunter eine knubbelige, dicke Nase, ein stolzes Mehrfachkinn und dann beginnt auch schon die Teppichfliese, welche sich über die Schultern, den Rücken und eben jenen sehr präsenten Bauch erstreckt.

Um den Hals hat er sich locker das rot-grün-weiße Handtuch gelegt, welches ihm Mutti vor 32 Jahren als Aussteuer mitgegeben hat.

„Guten Morgen. Sobald die Mannschaft hier wach ist, geht es los mit dem Urlaub. Ich schreib nur noch schnell ein wenig. Du bist aber auch schon früh unterwegs – im Urlaub…“ versuche ich mich ungelenk in Smalltalk.

„ick musste pinkeln, dat Bier muss ja auch wieder raus, wa?! Wann seid Ihr denn angekommen? Hab Euch noch gar nicht gesehen hier.“

„Gestern Abend, heute geht es weiter Richtung Norden.“

„Watt wollt Ihr denn da? Hier iss es doch och schön. Ick mag Schweden, komm schon seit 6 Jahren hier her off den Platz. Naja, schönen Tach noch“ und schlappt weg, die weißen Tennissocken leuchten in der Sonne und den dunkelblauen Aldiletten.

Drei Stunden, eine ausgiebige Luxusdusche, eine Waschmaschinenladung inkl. Trockner und vollständige Ver- und Entsorgung später fahren wir los. Unverändert scheint die Sonne, die Stimmung ist gelöst und hoffnungsvoll.

Das Navi sagt 1,5 Std. Fahrt bis zu unserem Ziel. Das freundliche Pärchen aus dem Bushäuschen bei Regen hat uns einen Stellplatz empfohlen, auf dem sie selbst drei Tage gestanden haben. Allein, direkt am Ufer eines traumhaften Sees, Geheimtipp.

Walter schnurrt, die Straßen sind befestigt und wir haben sogar in Ruhe gefrühstückt.

Der Weg führt uns durch das Schweden, welches wir im Kopf haben: überall Bullerbü, rotweiße einsame Häuser am Waldrand (oder mittendrin). Wir philosophieren darüber, warum hier praktisch alle Häuser die selbe Farbe haben. Mein erster Tipp: früher war das Walblut, und das haben die einfach beibehalten. Doch bevor meiner geliebten Reiseleitung noch übel wird, habe ich eine zweite Theorie. Irgendwas mit Steinen. Steine gibt es hier ja genug, vielleicht haben die Schweden damit irgendetwas gemacht und rote Farbe ist übrig geblieben.

Tante google gibt mir (fast) Recht. Die typische, rote Farbe ist ein Abfallprodukt der Kupfergewinnung, welche in Schweden wohl recht intensiv betrieben wurde.

Wir fahren durch ein Naturschutzgebiet, durch Wälder, vorbei an größeren und kleineren Seen und können uns gar nicht satt sehen an dieser Bilderbuchidylle aus Natur, Landschaft und Minidörfern.

Pünktlich wie die Eisenbahn kommen wir an einen wirklich traumhaften See, ganz anders als alle anderen Seen bisher – das Wasser ist nämlich türkisblau. Hier gibt es am Ufer immer wieder ein paar Buchten, in den man herrlich stehen kann.

Könnte – wenn sie denn frei wären. Der Geheimtipp scheint nicht ganz so geheim zu sein, alles, wirklich alles ist voll. Wir passieren mehr als eine handvoll traumhafter Stellplätz – als wären sie direkt aus unserer Vorstellung erschaffen worden. Offensichtlich sind wir nicht die einzigen mit einer solchen kitschig-romantischen Vorstellung. Keine Chance. Nicht mal in zweiter Reihe. Alles belegt und als uns ein Altcamper-Paar frech angrinst und eine mehr als unfreundlich-ausladende Handbewegung macht, reicht es uns für heute.

Die Stimmung zieht sich ebenso zu wie der Himmel über uns. Sehe ich da erste Tropfen? Auf der Windschutzscheibe? Oder hinter meiner Sonnenbrille?

alle Wege führ’n ins CampoDrom

(04.08.2021)
Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt. Und das hatte nichts damit zu tun, dass auf dieser Party gleich „Atemlos“ gespielt wird. Nein, in uns beiden kochte es tatsächlich. Es war 23:00, wir waren mal wieder 5 Std. unterwegs und standen jetzt auf einer schwedischen Autobahnraststätte.

Das bedeutet hier: von der Autobahn geht ein kleiner Schotterwegs ab, dieser führt zu einem irgendwie befestigten Platz. Das wars. NATÜRLICH liegt der Parkplatz an irgendeinem verkackten See, der sogar noch ganz hübsch anzuschauen ist.

„this ist the worst place in sweden I have ever seen“ erzählt mir ein Schwede, der hier mit seiner Familie ebenfalls Pause auf der Durchreise macht. Danke! Ich wollte hier nur am Ufer im Geröll sitzen und schlechte Laune haben. Mit miesen Plätzen kenne ich mich selbst aus.

Als Strafe gibt’s (wie früher bei Muddi) „ohne Abendessen ins Bett“. Aber nur kurz, denn ich wache wie immer um kurz vor 6 auf, reiße Walter und damit die gesamte Crew aus dem Schlaf und fahre los. Kurz huscht mir der Gedanke durch den Kopf, direkt wieder zur Fähre und damit Richtung Heimat zu fahren. Aber es kann ja nur besser werden.

Die trotz allem immer noch geliebte Reiseleitung wünscht sich neben Schlaf, Sonne, etwas zu essen, den perfekten Platz und Ruhe vor allem eine Dusche. Also hat sie einen entsprechenden Stellplatz ausfindig gemacht, zu dem ich Walter missmutig lenke.

Irgendwie kommt mir der Weg bekannt vor – und tatsächlich. Wir fahren wieder am Ortsschild von „Björneborg“ vorbei, und um kurz vor 7 rollen wir auf einen größeren Platz am Ufer des „Vännern“, dem größten See hier in der Region. Hier ist Platz für 11 Wohnmobile – aber keiner für uns. Alles belegt. Wir beschließen zu warten und frühestens 8:00 den Platzwart anzurufen, dessen Telefonnummer neben tausend Verhaltensregeln auf einer großen Tafel steht.

Der Platz ist nett und hat alles, was man braucht. Einen kleinen Strand (für Hunde verboten), eine Dusche (Tür wieder abschließen), ein kleines Café (nicht in Badekleidung betreten), Strom (im Preis inbegriffen), und einen traumhaften Blick auf den See (der mich viel zu sehr an die deutsche Ostseeküste erinnert).

Aber ich bin ungerecht, der geliebten Hausbesetzerin gefällt der Platz tatsächlich sehr gut. Ich bin nur noch nicht soweit.

Wir sitzen schweigend rum, gehen mit Karl spazieren, sitzen rum, ich gehe nochmal mit Karl, die Reiseleitung telefoniert.

Wir haben Glück – bis zum Mittag sollen fast alle anderen Camper abreisen. Sogar der Himmel reißt auf und jemand, den wir lange vermisst haben, betritt zögerlich die Szene: die Sonne.

Nach weiteren zwei Stunden warten, mit Karl gehen, warten und schweigen ergattern wir tatsächlich den besten Platz vor Ort. Wir haben ausreichend Abstand zu den anderen Campern und zu zwei Seiten einen freien Blick auf die Ostsee …. ähm den Vännern-See. Neben uns ein riesiges Wohnmobil, aus dessen Fenster drei große Hunde schauen.

Der Stellplatz, ein kleines Frühstück und die steigende Laune der Reiseleitung versöhnen mich ganz langsam mit diesem Ort. Die inzwischen mutig gewordene Sonne tut ihr übriges.

Wenn schon, denn schon“ denke ich und fange an, unser ganzes Geraffel auszupacken: Stühle, Tisch, Sofa. Eine halbe Stunde und einen Muskelkater später sinke ich aufs Sofa und liege einfach in der Sonne. Herrlich!

„lass das, ich gehe später duschen“ rufe ich, als es plötzlich schattig wird und mich ein paar Tropfen im Gesicht treffen. Kaum hat die geliebte Platzbesetzerin geduscht, wird sie schon wieder kiebig und schüttelt ihre nassen Haare über mir aus. Aber ich bekomme keine Antwort, stattdessen tropft es weiter. „kann die sich nicht abtrocknen? Ich hab keine Lust auf rumalbern“ denke ich mir, während ich schläfrig die Augen öffne. Aber da ist niemand. Und dieser Niemand hat die Form einer fetten, dunklen Wolke, die gerade Lust bekommt, über uns abzuregnen.

Zu dem einen Niemand gesellen sich schnell ganz viele und es fängt herzhaft an zu regnen. Ich eile hinein und nun liegen wir bäuchlings auf dem Bett und schauen hinaus in den Regen – natürlich vor der malerischen Kulisse des Sees, welcher inzwischen Schaumkämme trägt.

Der Regen geht, der Wind bleibt. Und es ist kalt. Wir bleiben also liegen und schauen weiter. Das ist wie auf ein Kissen gelehnt am Fenster eines 5stöckigen Mietshauses – nur beim Camping.

Endlich passiert auch etwas: ein schnauzbärtiger, kleiner Mann steigt aus dem Nachbar-Wohnmobil und macht sich an seinem Kofferraum zu schaffen. Er steckt irgendwelche grünen, weißen und roten Gummirollen in seine kakifarbene Weste, hängt sich eine Pfeife um den Hals und nimmt Haltung an.

Strammen Schrittes geht er zu seinem Riesen-Wohnmobil, öffnet die Tür und nach einem kurzen Schnippen springt einer der drei großen Hunde heraus.

Der Hund klebt an seiner Seite wie ein Magnet. Auf der großen Wiese vor uns bleibt der Typ stehen und hebt wie beiläufig die linke Hand, nur ganz wenig. Sofort setzt sich der Hund hin – und bleibt sitzen. Karl würde nicht mal sitzen bleiben, wenn er dafür Leckerlies bis zum Platzen bekommen würde. Der kleine Napoleon geht auf der Wiese 50m nach rechts, 100m nach links, vier Schritte vor und 20 Schritte zurück. Und überall dort platziert er die bunten Gummiwürstchen, aufmerksam von dem brav sitzenden Hund beobachtet.

Als er zurückkommt, reicht ein kurzes Nicken und der Hund steht unvermittelt auf. Auf ein weiteres, Nicken, was eher wie ein Krampf im Nacken aussieht,  folgt er dem Herrchen auf seinem Marsch über die Wiese. Und es ist ein Marsch – unvermittelt wechselt das kleine Männchen mit der strammen Haltung die Richtung, meistens um 90°. Irgendwann bleibt Napoleon abrupt stehen, winkelt den rechten Arm nach vorne ab, die flache Hand mit der Kante wie zu einem Karateschlag bereit. Und steht dort wie ein Zinnsoldat.

Plötzlich – zack – die Karatehand schnellt nach vorne dass ich es fast durch die Luft zischen höre. Der Hund schießt los und genauso schnell kommt er zurück – die grüne Gummiwurst im Maul. Brav legt er sie dem Herrchen in die Hand und setzt sich hin. Achtlos wird die Gummiwurst in der Westentasche verstaut. Dann das selbe Spiel: Marschieren, Richtungswechsel, Karateschlag und der Hund schießt los. Fehlt nur noch die Marschmusik bei dieser perfekten Parade.

Nach 15 min ist alles vorbei. Ein schriller Pfiff durchschneidet mein ungläubiges Staunen. Der Pfiff scheint das Kommando zu sein, sich zu freuen. Der Hund springt an Herrchen hoch, freut sich überschwänglich und wird sogar geherzt. Für exakt 20sek. Ein weiterer Pfiff und die Show ist vorbei. Dachte ich. Denn nachdem Hund 1 auf Kommando ins Wohnmobil springt, geht das Speil von vorne los. Hund 2 und 3 folgen. Ich gehe kurz zu Karl, der sich in seinem Körbchen streckt und wohlig grunzt. Demonstrativ lege ich ihm eine besonders leckere Kaustange dazu – er weiß zwar nicht warum, freut sich aber trotzdem. Deutlich länger als 20sek.

Dank Regen, Wind und Kälte haben wir genug Zeit, uns über den Hundenazi zu philosophieren. Lästern soll man ja nicht. Aber ernsthaft: der war doch früher bei der Stasi. Das Nummernschild zeigt jedenfalls Gera als Heimathafen. Ob er seine Frau auch mit einem kurzen Pfiff …. Ach egal.

Der nächste Morgen präsentiert sich kühl, windig – und trocken. Spontan möchte ich einen Prosecco aufreißen. Verkneife ich mir aber, denn Frau Hundenazi steigt gerade mit zwei prickelnden Gläsern aus dem Wohnschiff und trägt es zu IHM, der an einem mit weißer Tischdecke gedeckten Klapptisch sitzt, das Glas ohne erkennbare Miene entgegennimmt und in einem Zug leert.

Bevor wir – ohne es zu merken – auch noch Haltung annehmen, wird es Zeit zu fahren.

Aber wohin? Das Wetter ist unverändert kalt und mies. Die Wetterkarte verspricht, dass es überall in der Region auch so bleibt. Wie wäre es also mit einem Ausflug in die Stadt? Örebro liegt etwa 1,5 Std. entfernt und soll eine schöne, typisch schwedische, kleine Stadt sein. Ist es aber nicht. Ein Schloss, was aussieht wie eine Trutzburg, steht mitten drin. Drumherum: eine langweilige Standardkreisstadt. Nach einer knappen Stunde sind wir vor allem froh, dass es nicht regnet.

Geld ausgeben. Geld ausgeben hilft. Und weil uns die Stadt nicht dazu animiert, flüchten wir uns verzweifelt auf den nächstgelegenen Campingplatz. Dort soll es eine Therme, ein Restaurant und viel Platz geben.

Das erste Schild welches ich sehe, nachdem wir die Reception passiert haben, ist CAMPODROM. Naja, es ist kein Schild, es ist eine Wand. Alles hier ist zu groß, zu bunt, zu viel. Das hier ist Disneyland für Camping.

Wir finden aber einen großzügigen Platz, überraschend ruhig und fast ungestört. Wir beschließen, für eine Nacht hier zu bleiben und mal so richtig abzusahnen. Für den Preis einer Nacht bekommt man anderswo ein Doppelzimmer mit Meerblick und fettem Frühstück. Wir bekommen Luxusdusche, Strom satt, alle denkbaren Ver- und Entsorgungen und sogar ein eigenes Badehäuschen für Hunde.

Wir nutzen einfach alles dreimal, dann hat sich das hier gelohnt. Gesagt, getan. Und als Dank für unser Durchhaltevermögen kommt sogar die Sonne durch.

Ab morgen wird es schön, richtig geil. Beschließen wir. Denn wir haben einen Geheimtipp für ein ganz besonders schönes Plätzchen bekommen. Gar nicht weit weg, nur 1,5 Std. Fahrt. Ich freue mich auf morgen und schlafe trotz Campingdisco zufrieden ein.

„dann können wir auch gleich wieder nach Hause fahren“

(24.06.2021) Die Nacht war ruhig, traumlos und irgendwie zu kurz. Zumindest für mich. Ich werde von den verzweifelten Bemühungen eines dreifachen Vaters geweckt, seine Kinder zu erziehen.

„Wenn Du dir jetzt nicht die Schuhe anziehst, können wir auch gleich wieder nach Hause fahren“

Es muss das verzweifelte „neeeeeeeeeiiiiiinnnnn“ des dreijährigen Blondschopfes gewesen sein, das mich jäh aus dem dringend notwendigen, erholsamen Schlaf gerissen hat. Morgens um halb 6. Ob das „neeeeeeeeeiiiiiinnnnn“ und die begleitenden Tränen den Schuhen oder dem zu Hause galten, konnte ich nicht herausfinden.

Zumindest marschiert Papa kurze Zeit später zur Mülltonne an der Ecke unseres Stellplatzes, drei kleine, blonde Kinder im Schlepptau. Alle vier barfuß. Ich sitze mit dem ersten Kaffee und einer Zigarette neben Walter und nicke dem Dreifachvater mitleidig zu. „Ich weiß bescheid mein Lieber, ich habe es schon hinter mir.“

Als die geliebte Hausbesetzerin eine Stunde später ebenfalls wach ist, werde ich mit ihr darüber philosophieren, wie sinnvoll und effektiv solche Auseinandersetzungen mit der eigenen Brut tatsächlich sind. Mich haben sie heute jedenfalls sehr effektiv geweckt.

Wir wollten ja einen Morgen ohne Hektik und ganz entspannt zur Fähre. Gesagt, getan. Noch einen Kaffee, noch ein kurzer Besuch am Strand, für und wider von Erziehungsmaßnahmen abwägen, Karl niedlich finden.

Als ich gerade zu dem Schluss komme, dass man es mit dem Drangsalieren von Kindern auch nicht übertreiben muss, startet Dreifachpapa seinen coolen offroad-Camper und dröhnt vom Platz.

„wann müssen wir eigentlich los zur Fähre?“ frage ich die Mannschaft und blinzle dabei genüsslich in die Sonne.

„eigentlich in 7 Minuten“

Die ungeschriebenen Kommunikationsgesetze in diesem Haus besagen, dass die Verwendung des Wortes „eigentlich“ höchste Alarmstufe bedeutet. Es meint nicht weniger als „wenn Du nicht sofort Deinen Arsch bewegst, können wir auch gleich wieder nach Hause fahren“.

Aber wir hatten ja eine Anreise ohne Hektik geplant – eigentlich.

Ich bin also zum zweiten Mal schlagartig hellwach, raffe unseren ganzen überflüssigen Glamping-Schnick-Schnack zusammen, kippe den Rest Kaffee in den Brombeerbusch und sitze 11 Minuten später im Cockpit. Im Gegensatz zu mir ist Walter ausgeruht und heult kraftvoll auf. Wenn jetzt alles glatt läuft, sind wir überpünktlich an der Fähre. Passiert uns sonst auch nur ausgesprochen selten.

„Ich brauche noch einen Briefkasten, bevor wir rüberfahren“

Ich mag es, wenn sich die geliebte Hausbesetzerin darum kümmert, dass ich nicht zu übermütig werde. Also gut, suchen wir also noch schnell einen Briefkasten. Ganz ohne Hektik.

Als wir endlich zur Fähre kommen, sind es noch 6 Minuten bis zur empfohlenen CheckIn Zeit. Alter Ver-Walter, wie auch immer wir das geschafft haben. Von einem mehr als desinteressierten Einweiser werden wir auf Spur Nr. 5 gebeten, vorbei an einer 200m langen Schlange wartender Autos und Camper. Irgendwo mittendrin meine ich, einen coolen Offroad Camper zu sehen, aber ich kann mich auch täuschen.

Wir stehen also in der ersten Reihe und es bleibt sogar noch Zeit für eine Zigarette – ohne Hektik. Vor uns ein Koloss aus Stahl, der nur darauf wartet, hunderte Autos mit völlig entspannten Insassen aufzunehmen. Und uns natürlich.

Und tatsächlich: nachdem etwa 20 LKWs in seinem Schlund verschwunden sind, fahren wir als erste über die Rampe.

Die Fahrt nach Kopenhagen läuft so flüssig wie der Weißwein, welchen wir später am Hafen trinken werden. Aber vorher haben wir noch eine Mission:

Seit einiger Zeit sind süchtig nach einer kleinen NetFlix-Serie: „Somebody Feed Phil“. Darin reist ein schräger Typ durch die Welt und frisst sich durch die Spezialitäten der jeweiligen Stadt. Großartig! Und jedes Mal bin ich neidisch, dass mich keine Kamera begleitet und Netflix meine Rechnung bezahlt, wenn ich einen Querfraß-Anfall habe.

Wie auch immer, jedenfalls war Phil in einer der Folgen auch in Kopenhagen und seitdem haben wir Appetit auf das großartige Smörebröd, welches er hier gegessen hat. Das Aamanns Deli ist schnell gefunden und wir sind begeistert. Cooler Laden, man kann sich kaum entscheiden zwischen den vielen wirklich kreativen und leckeren Varianten.

Wir sind hungrig und bestellen je ein Mal „beef Tatar“, „creamy mushrooms“, „organic eggs“ und handgekraulte Garnelen. Wahnsinn, was man aus einem belegten Brot alles machen kann. Es ist tatsächlich so lecker, dass ich die knapp 40 EUR die wir bezahlen, großzügig weglächeln kann.

In Vorfreude auf die moderne Variante des typisch dänischen „Abendbrotes“ finden wir unseren Stellplatz am Hafen Kastrup und haben bereits um halb sechs gehörig einen sitzen.

Immerhin, bis zum Sonnenuntergang ist noch reichlich Zeit und ich kann mir in Ruhe die Schiffe im Hafen anschauen. Dabei finde ich sogar zwei, welche ich mir nach dem Smörebröd sogar noch leisten könnte.

Morgen früh geht es ganz entspannt und ohne Hektik weiter, über die Brücke nach Malmö, Schweden.

Ort:                      Kastrup Lystbädehavn

Stellplatz:            Parkplatz, Schotter

Charakter:          sympathisch, leichte Parkplatzromantik
                              Wohnmobile + Wohnwagen
                              großzügige Plätze, direkter Blick auf den Yacht-Hafen

Sanitär:                WC, Duschen, Ver- und Entsorgung

Kosten:                ca.20 EUR / Nacht

Lage:                    direkt am Yacht-Hafen

Infrastruktur:     zu Fuß erreichbar:
                              Yacht-Hafen, kleiner Park mit Spielplatz, Promenade

Fahrrad:              zu empfehlen, um in den nahegelegenen Stadtteil zu kommen

auf dem Platz:   Strom, Bäume für Schatten

Empfehlung:       5 von 10
                              (für die Nacht vor der Brücke sehr gut)

„Dein Navi irrt sich“

Walter fühlt sich vernachlässigt. Und er fühlt sich nicht nur so – er ist es auch. Er bekommt weder Liebe, noch Aufmerksamkeit, niemand verbringt Zeit mit ihm. Karl behauptet zwar das Gleiche, aber das tut hier nichts zur Sache. Bei Walter ist es ernst. Nicht einmal Diesel kippt Papa hinein. Bei Kindern wäre es höchste Zeit, das Jugendamt einzuschalten.

Aber zum Glück kennt niemand die Telefonnummer des Straßenverkehrsamtes auswendig. Wozu auch? Solange Du pünktlich die KFZ-Steuern bezahlst, kannst Du deinen vierrädrigen Gefährten vernachlässigen, soviel Du willst. Und Karl? Niemand glaubt ihm.

Wie dem auch sei, Walter hat seine ganz eigene Strategie, mit fehlender Liebe umzugehen. Er macht einfach die Lichter aus. Im wahrsten Sinne des Wortes. Als ich ihn zu einer kleinen, spontanen Ausfahrt überreden wollte, sagte er einfach mal: „        „ (nichts).

Einen Batteriewechsel später haben wir beschlossen: so kann es nicht weiter gehen. In unserem Übermut haben wir schnell das noch fehlende Equipment bestellt, um aus dem, was andere „Camping“ nennen, unser ganz eigenes „Glamping“ zu machen. Oder könnt Ihr euch vorstellen, ohne großen Tisch, Gasflammentoaster, Megagrill, ein japanisches Messer, 4 Kanister Wein mit Zapfhahn und guten Rum das Haus zu verlassen? Eben, konnten wir auch nicht….

Jetzt sind wir zwar pleite, aber glücklich. Und wo leben die glücklichsten Menschen der Welt? Genau – in Schweden! Deshalb hat es gar nicht lange gedauert zu beschließen, wohin wir fahren: in das Land der glücklichen Menschen und Elche.

Vor das ewige Glück hat der liebe Gott oder meine Mutter – oder wer auch immer – das Mühsal gestellt. Da kannst Du endlose Pack- und Erledigungs-Listen schreiben, am Ende bist Du genervt, gestresst und spät dran. In unserem Fall 6 Stunden.

Als wir endlich loskommen, ist es 16:30. Das C-Testzentrum schließt um 17:00 Uhr. Pünktlich 17:05 stehen wir vor verschlossenen Toren. Also verbringen wir die nächste halbe Stunde damit, das noch geöffnete Testzentrum in der Innenstadt zu besuchen. Alles total hip hier, ich bin geneigt mir am Tresen einen VinTonic oder einen Jägermeister mit FritzCola zu bestellen. Stattdessen gibt’s „Wattestäbchen tief rein“ – aber das kennen wir ja schon.

Als wir endlich auf der Autobahn gen Norden sind, bedankt sich Walter mit konstanten 101km/h Höchstgeschwindigkeit. Es ist wie bei Kindern (oder Hunden): wenn Du sie erstmal eine Weile vernachlässigst, freuen sie sich um so mehr über ein wenig Aufmerksamkeit.

Die Ankunftszeit wird auf 20:10 prognostiziert. Schon wieder bin ich übermütig und verspreche der geliebten Hausbesetzerin wenigstens noch einen spektakulären Sonnenuntergang auf Fehmarn am Strand.

Das Navi führt uns zielsicher zum Campingplatz, direkt an der Fähre. Der Plan: wir haben einen entspannten Abend und stressfreien Morgen mit einem kurzen Weg zur Fähre am nächsten Morgen.

Aber eben nicht auf dem Campingplatz, sondern freistehend direkt am Wasser. Das Navi verspricht einen kleinen Weg dorthin, direkt an der Rückseite des gut organisierten Campingplatzes entlang.

„Dein Navi irrt sich“ lese ich auf einem handgeschriebenen, großen Schild aus dem Augenwinkel, während Walter und ich versuchen, uns durch Gestrüpp, eine ausgespülte Trekkerspur und 35° Seitenneigung zu kämpfen. „jaja, du bist nur neidisch“ rufe ich dem Schilderschreiber in Gedanken hinterher, während ich mit dem rechten Vorderrad fast in armdickem Brombeergestrüpp hängen geblieben wäre.

Walter stöhnt und ächzt, was ich als heldenhafte Jubelgeräusche völlig fehlinterpretiere. Irgendwann höre ich von draußen nicht nur Walters Achsen stöhnen, sondern Schafe bölken. Der „Weg“ mausert sich zu einem Trampelpfad und in einiger Entfernung sehe ich, wie sich ein paar junge Kiefern höhnisch im Ostseewind wiegen. Zeit für „lass das mal den Papa machen“.

Ich gönne Walter eine kurze Pause, steige aus und erkunde den Weg zu Fuß. Genauso gut hätte ich mich auch nackt in die Brombeeren schmeißen können – hier geht es nicht weiter.

Ein guter Kapitän denkt zuerst an die Mannschaft, dann ans Schiff und irgendwann an sich selbst. Mit staatstragender Miene verkünde ich der Mannschaft: „wir drehen um, das ist für Euch alle zu gefährlich“.

Ich versuche den Eindruck, alles im Griff zu haben, noch ein wenig aufrecht zu erhalten, während ich Walter zwinge, praktisch auf der Stelle – die in diesem Fall eine matschige Kuhwiese ist – zu wenden.

Wir schaukeln zurück, vorbei an dem Schild, auf dessen Rückseite mit roter Farbe steht „sag ich doch“.

Blödmann!

Es gibt aber tatsächlich noch einen anderen Weg zu dem wir-stellen-uns-doch-nicht-auf-einen-offiziellen-Campingplatz-Stellplatz.

Die Sonne verschwindet gerade hinter dem Horizont, als ich die geliebte Hausbesetzerin eilig zum Strand zerre, um wenigstens mein Versprechen noch einzuhalten.

Ort:                      „Grüner Brink“ auf Fehmarn
                              fürs Navi (ohne Büsche) „zum Badestrand“

Stellplatz:            Parkplatz, Schotter

Charakter:          klar, einfach, ohne alles
                              Wohnmobile + Wohnwagen
                              großzügige Plätze

Sanitär:                hä? Gibt’s nich

Kosten:                9 EUR / Nacht

Lage:                    50m zum Strand

Infrastruktur:     zu Fuß erreichbar:
                              Strand, Belt-Bude (ab 11:00 geöffnet, bis Sonnenuntergang (!)

Fahrrad:              nicht nötig

auf dem Platz:   weinende Kinder, Mülltonne, sonst nix

Empfehlung:       4 von 10
                              (für die Nacht vor der Fähre o.k.)

Wie alles begann. „Runter vom Sofa“

(21.06.2021)
„Hilde, ist die 102 noch frei?“

Ich hätte ja nicht gedacht, dass mich eine kurze Frage in norddeutschem Kodderton noch so nervös machen kann. Genau so fühlte es sich als 5 jähriger an, wenn ich wissen wollte, wieviel Kugeln Eis ich darf. Damals hing gefühlt mein Leben davon ab, mich nicht zwischen Vanille, Schoko und Erdbeere entscheiden zu müssen.

Ich habe mich sehr daran gewöhnt, dass ich inzwischen derjenige bin, der diese Frage beantworten darf. Und die kleine Prinzessin sollte ihren Großeltern sehr dankbar sein, dass ich sie damals manchmal echt doof fand. Denn bei zwei Kugeln fehlt immer eine. Immer.

Deshalb gibt es heute also grundsätzlich drei Kugeln. Auch wenn sie Erdbeereis gar nicht mag.

Aber nun, ich schweife ab. Denn erstens kann ich mir mein Eis inzwischen selbst kaufen und zweitens hat Hilde inzwischen sehr ausschweifend geantwortet.

„jo“.

Das wiederum fühlt sich an, als hätte Hilde mir gerade einen großen Schwedeneisbecher mit 6 Kugeln spendiert. Es braucht eben nicht vieler Worte, um Menschen glücklich zu machen.

Mit ihrem kurzen „jo“ macht Hilde nämlich den Weg frei, dass sich ein kleiner Traum erfüllt. Wir bekommen spontan einen Platz in der ersten Reihe. Fast direkt am Meer. Ohne Anmeldung, spontan und auf gut Glück.

Genau so hatten wir uns das tatsächlich vorgestellt, als wir Walter in unser kleines Rudel aufgenommen haben. Walter das Wohnmobil.

In so einem Rudel braucht ja jeder seine feste Aufgabe.

Karls Aufgabe ist es, niedlich zu sein. Das meistert er mit Bravour! O.k., aufpassen soll er auch. Kriegt er auch hin. Wir suchen schon nach neuen Aufgaben für ihn, aber so recht ist mir noch nichts eingefallen.

Die geliebte Hausbesetzerin hat sehr vielfältige Aufgaben, z.B. den Alten auf Trab halten. Dies und alles andere meistert auch Sie mit bemerkenswerter Perfektion.

Die kleine Prinzessin entwickelt sich immer mehr zu einer wahren Meisterin der Aufgabenvermeidung. Also ebenfalls check!

Ich bekomme die restlichen Aufgaben, die noch übrig sind. Es ist genau wie beim Essen – alle Reste auf den Tellern zu mir. Kann ich super, alles aufessen!

Und Walter? Walters Aufgabe ist es, uns überall hinzufahren und uns dort dann zu beherbergen.

Hinter dieser scheinbar klaren und einfachen Aufgabe steckt allerdings viel mehr – das weiß Walter aber nicht, glauben wir zumindest.

Denn Walter holt uns runter vom Sofa, im übertragenen Sinne.

Der ein oder andere hat es hier vielleicht schon bemerkt: in den letzten Monaten ist außer Pandemie nicht viel passiert. Die immer gleichen Leute gehen am blauen Zaun vorbei. Das Leben im Dorf ist unverändert schön, aber irgendwie auch vorhersehbar. Zumindest in letzter Zeit, ohne Ausnahmeerscheinungen wie Schützenfest, große Geburtstagsfeiern, Weinfest oder sonstige Aufreger. Jeder sitzt auf seinem Sofa und wartet mehr oder weniger ab, dass die Pandemie vorbei ist.

Natürlich gab es auch in dieser Zeit vor und hinter dem blauen Zaun die üblichen Aufreger. Die Säue, die durchs Dorf getrieben werden, laufen auch am blauen Zaun vorbei. Darüber werde ich auch noch berichten, wenn die Zeit reif ist. Versprochen.

Und trotzdem wollten wir unsere Komfortzone mal wieder verlassen. Raus in die Welt und andere Säu … ähm Geschichten erleben. Und da kommt Walter ins Spiel.

Wir wollen frischen Seewind um die Nase, andere Sprachen und Dialekte hören, Menschen kennenlernen, Einsamkeit aushalten, uns auf das Wesentliche reduzieren.

Und so tauschen wir nun gelegentlich 190qm geschichtsträchtige Mauern gegen 19qm ungewisse Sehnsucht.

Und diese Sehnsucht schauen wir uns zusammen mit Walter dann vom Sofa aus an. Denn runter vom Sofa heißt ja nicht, dass wir es nicht bequem mögen, so rein körperlich.

Dank Hilde sitzen wir nun also hoch im Norden wieder auf einem Sofa und freuen uns darüber, dass der Kanister Weißwein doch in den kleinen Kühlschrank passt. Und wenn wir den Hals recken, sehen wir das Meer. Das mit dem Hals recken sind wir ja gewohnt, anders sieht man zu Hause ja auch nicht, was die Nachbarn so treiben.

Hier interessiert es übrigens niemanden, was wir so treiben. Wohnmobilisten haben die angenehme Eigenschaft, jeden neuen Nachbarn freundlich zu grüßen und ab dem Moment wohlwollend neutral zu ignorieren. Das heißt nicht, dass wir niemanden kennenlernen. Ganz im Gegenteil. Aber es bleibt wertfrei, ob und was und wie ich bin.

Heute morgen, als es Hun…. und Katzen geregnet hat, hielt mir die Frau auf dem Nachbarstellplatz einen Regenschirm hin. „ich weiß ja nicht, ob ihr schon voll ausgestattet seid.“ Nein, sind wir natürlich noch nicht. Daher: vielen Dank!

Außer das Sofa natürlich. Das haben wir den schon erfahrenen Globetrottern voraus und ich bin mir sicher, das eine oder andere anerkennende Lächeln, welches wir damit hier geerntet haben, löst direkt eine Bestellung bei „Camping Wagner“ aus.

Nach dem Abendessen wird Vati hier üblicherweise zum Abwaschen geschickt. Mit der multifunktionalen Kunststoff-Silikon-Klappkiste trottet er zum Waschplatz, um die Spaghetti- oder Raviolireste seines Rudels von den Tellern zu spülen.

Wenigstens ein Klischee, welches wir (ich) nicht erfüllen.

Statt Klischees zu erfüllen oder zu spülen, wandern wir einen guten Kilometer am Strand entlang zu einer kleinen Holzhütte in nordisch anmutendem rot-weiß. Der selbstgebackene Kuchen hier soll ein absoluter Geheimtipp sein.

Ich kann gar nicht anders als diesen Wunsch so lange in verschiedenen Facetten zu äußern, bis die geliebte Hausbesetzerin endlich genervt aufgibt. Sie hat zwar immer noch keinen Appetit auf Kuchen, kommt aber mit.

Allein der Weg dorthin ist ein Traum! Ursprüngliche Ostseeküste mit tausenden Kieselsteinen in allen Formen, Größen und Farben. Dazu in den Wind geduckte Kiefern und ein fast kitschiger Blick auf die Küste Dänemarks. Der Maler dieses Arrangements hat nur vergessen, einen Leuchtturm auf die Landzunge zu setzen – ansonsten ist es perfekt.

Ebenso perfekt ist übrigens der Kuchen, ich kann mich nicht entscheiden zwischen Erdbeer-Frischkäse-Sahne oder Rhabarber – Baiser. Und da das Camper-Leben ja ohnehin schon so entbehrungsreich und karg ist, nehme ich einfach beide.

Meine zunehmende Wampe vergesse ich ganz schnell beim Ausblick auf die Weite der Ostsee. Wie sehr Wind, Wellen, Sonne und Weite den Kopf frei machen, brauche ich Euch gar nicht erzählen. Ich kann es nur empfehlen.

Ort:                       Langballig
Stellplatz:            Campingplatz Langballigau

Charakter:          klar, einfach, sehr gepflegt
                              absolut ruhig, ohne Schnick-Schnack
                              Wohnmobile + Wohnwagen
                              großzügige Plätze

Sanitär:                sehr gut
Kosten:                günstig
Lage:                    70m zum Strand

Infrastruktur:     zu Fuß erreichbar:
                              sehr schöner, kleiner Hafen, Mini-Markt, 3 Restaurants, Imbiss, Kiosk,
Eisdiele, Spielplatz und Outdoor-Fitness am Strand, bewachter Strand

Fahrrad:              unbedingt mitnehmen und nutzen

auf dem Platz:   Strom, Wasser, Ver- und Entsorgung, Sanitär

Empfehlung:       8 von 10 *