Wasser marsch!

Also wäre das auch geklärt: die Schweden können nicht nur Knäckebrot, frischen Fisch und süße Plunderteilchen in Perfektion. Nein, sie können auch Gewitter, aber so richtig!

Nach dem Kulturschock auf dem MegaCampingplatz in Askim wollten wir nur eins: weg

Symbolträchtig haben wir unseren ganzen Sch… auch gleich da gelassen, also einmal ordentlich ver- und entsorgt und alle Tanks frisch aufgefüllt.

Karlchen hat sich nochmal ordentlich ins Gebüsch gehockt und dann wurde es aber auch Zeit, loszufahren. Schranke hoch, Walter durch, gute Fahrt.

Es geht Richtung Norden, an die Südspitze des Vänern-Sees. Dort soll es ein kleines, süßes Fischerdorf geben, mit ein paar Stellplätzen direkt am Hafen.

Ein kalter Entzug von dem, was wir Zivilisation nennen, war uns dann aber doch zu hart. Deshalb haben wir auf dem Weg noch schnell bei einem dieser MegaShoppingCenter angehalten. Auch bei einem reduzierten Leben muss man ja irgendwas essen. Und wenn gerade kein Wald mit Pilzen, Blaubeeren und Kräutern in der Nähe ist, können wir genauso gut unserer Lust auf geiles, abgepacktes Zucker-Salz- und Fettessen frönen. Außerdem waren wir neugierig, was man in einem schwedischen Megastore so alles entdecken kann.

Zunächst die alten Bekannten: von Nivea über Haribo, Milka, Kelloggs und Knorr gibt es hier alles, was die Supermärkte auch in Deutschland und wahrscheinlich ganz Europa dominiert.  

Aber dann wurden wir fündig, am Ende hatten wir fast nur schwedischen Schweinkram im Wagen: Schmelzkäse aus der Tube, wahlweise in den Geschmacksrichtungen Hummer, Petersilie, Elchsalami oder Bacon. Hunderte Sorten Knäckebrot, Fisch und Garnelen als Salat, Paste, in der Dose, getrocknet, geräuchert, gepökelt oder als Chips. Herrlich klebrigen Blaubeerrührkuchen. Und das Highlight: Zimtschnecken. Die Hamburger Morgenpost wählt ja jedes Jahr das beste Franzbrötchen der Stadt. Sorry, aber ihr müsst weinen gehen: diese Zimtschnecken hier vom Bäcker sind der Himmel auf Erden!

Ein Mitglied dieser illustren Fahrgemeinschaft behauptet ja, ich sei essensverliebt. Ich sag mal so: gestern Abend hatte ich eine Orgie.

Das gute daran, essensverliebt zu sein ist ja, dass man trotz unübersehbarem Bauchansatz und fettigen Fingern ständig Dates haben kann. Mein nächstes wartete schon in Spiker, dem kleinen Fischerdorf zu dem wir fahren wollten.

Als wir ankommen, finden wir einen Platz mit direktem Blick auf den kleinen Hafen. Romantisch, fast kitschig ist es hier. Da Walter, das Wohnmobil ja frisch versorgt, aufgefüllt und aufgeräumt ist, haben wir keinen weiteren Auftrag. Schnell noch die Luken auf, frische Luft reinlassen und rüber zum Hafen. Der Versorgungsbeauftragte des Nachbarcampers kommt gerade mit vollen Tüten zurück und erzählt seiner Frau, dass er viel zu viel Räucherfisch gekauft hat, aber der hält sich ja ein paar Tage.

Es gibt zu viel von irgendwas? Vor allem von Räucherfisch? Menschen sind sonderbar.

Wir schlendern durch den Hafen und sind ganz entzückt. Karlchen schnuppert voran, geradewegs zu einer kleinen Hütte mit einem vielversprechenden Schild vor der Tür. Ich kann zwar kein Schwedisch, aber der verliebte Blick eines hungrigen Kenners entdeckt sein nächstes Date auch ohne Worte.

Alter Schwede, wenn ich Walter nicht so verbunden wäre, würde ich hier einziehen: Räucheraal so dick wie mein Oberarm, Lachs so frisch, glänzend und saftig wie … egal. Dorsch, Hering und Zander in allen Variationen. Ich kann mich gar nicht entscheiden.

Zum Glück reise ich ja nicht allein, sondern die Vernunft in Form der geliebten Hausbesetzerin ist auch mitgekommen. Wir beschließen, dass der Fisch unsere Frühstücksorgie wird und es morgen früh ein Wiedersehen geben wird.

Wir schnüffeln noch ein wenig weiter durch den Hafen, als uns ein paar Tropfen treffen. Ein kurzer Blick nach oben verrät: oh ha! Während uns beim Räucherfisch das Wasser im Mund zusammengelaufen ist, haben sich da oben ganz andere Wasserquellen versammelt. Und dann geht es auch schon los, die Schleusen werden geöffnet. Wir schaffen es auf etwa 200m bis zu Walter, dann müssen wir uns in ein kleines Buswartehäuschen flüchten, wenn wir nicht wegespült werden wollen. Es blitzt und donnert, als würde Thor dort oben seine Hochzeit feiern.

Nach 20 min wage ich einen Blick aus dem Häuschen: keine Besserung in Sicht, die Party hat gerade erst begonnen.

Durch den Vorhang aus Wasser schlüpft ein freundliches Paar im besten Alter. Es stellt sich heraus, dass sie aus der Stadt kommen, in der ich großgeworden bin. Wir plaudern angeregt über die schönsten Plätze dort und in Schweden, ich bin ein wenig neidisch über die mehr als 4 Wochen Zeit, die die beiden sich für Schweden schon nehmen, während Karl Angst vor Gewitter und die geliebte Hausbesetzerin vor dem Wasser da draußen hat.

Wasser? Warte mal…. hatte ich vorhin nicht frische Luft in das Wohnmobil gelassen? Durch die Dachluke? Wo Luft rein kommt, kommt auch Wasser rein….

Es sind nur 200m bis zu Walter. Allerdings quer durch einen Wasserfall biblischen Ausmaßes. Andererseits ist es jetzt auch egal. Was jetzt noch offen ist, war auch vor 20min schon offen.

Frau und Hund durch die Fluten zu zerren ist keine Option, nicht für uns und auch nicht für das freundliche Paar. Er beschließt, zu ihrem Camper zu laufen und sie hier abzuholen. Sie wollen noch weiter und es ist schon recht spät.

Sein Angebot, mich mitzunehmen und uns alle ins Trockene zu fahren, lehnen wir leichtsinnig ab – es kann ja nicht mehr so lange dauern. Dachten wir. Gerade als die beiden fröhlich winkend davon fahren merken wir, wie blöd wir eigentlich sind.

Und schon wieder so ein Moment für „lass das mal den Papa machen“. Noch ein kurzes Zögern, aber dann überwiegt der Heldenmut: ich laufe los, versuche über Pfützen zu springen und lande doch mittendrin, so groß sind sie. Walter weint. Oder ist es nur der Regen, der in Sturzbächen an ihm herunter läuft?

Es ist der Regen – oder können Wohnmobile auch von innen weinen? Ich stehe mit den Füßen im Wasser, als ich die Tür endlich aufhabe. Das ist die perfekte Gelegenheit, endlich auch unsere Handtuchvorräte drastisch zu reduzieren. Fühlt sich ein wenig an wie in einem Sumpfgebiet, als ich die geliebte Hausbesetzerin und Karlchen an der Bushaltestelle abhole.

Irgendwie schaffen wir es, aus dem Amphibienfahrzeug wieder ein Wohnmobil zu machen. Und bei beschlagenen Scheiben, Kerze und Rotwein im Trockenen zu sitzen ist ja auch ganz romantisch.

reduce to the max

“ich mag dieses reduzierte Leben”

„hmmhmm“ antworte ich, während ich den kleinen Alukoffer mit dem Grillbesteck öffne und das Weiderindersteak auf dem Edelstahl-Klapp-Grill elegant wende. In der linken Hand habe ich ein gut gekühltes Bier, mein Blick schweift über den spiegelglatten See, in dem sich die Abendsonne in sattem orange-rot spiegelt.

Per App haben wir diesen schönen Stellplatz gefunden, die Mobilfunkverbindung in Schweden ist bislang hervorragend – egal wo wir sind. Walter scheint ebenfalls zufrieden, ohne viel murren stellt er sich mit einer perfekten Blickachse ab.

Wir stehen direkt am See, eingerahmt von einer Handvoll Birken, deren Blätter im Wind leise wispern. Der unverstellte Blick ist so kitschig, dass ich mir erstmal die Tränen aus den Augen wischen muss, um überhaupt etwas zu sehen. Schön, einfach schön!

Ohne viele Worte beschließen wir, für zwei-drei Nächte hier zu bleiben.

Lass‘ mal in Klischees denken: ich kümmere mich um den Außenaufbau, die geliebte Hausbesetzerin rüstet innen von reisen auf stehen um.

Eine Stunde später ist Walter mittels Auffahrrampen ausgemittelt, die Markise gespannt, Tisch, Stuhl, Grill, Sofa und Petroleumlampe aufgebaut. Der Kühlschrank auf Gasbetrieb umgestellt, der Weinkanister griffbereit platziert, Teller, Gläser, Besteck, Fleisch, Käse, Salat und diverse Saucen stehen bereit.

Das reduzierte Leben kann beginnen.

Gerade als ich mich mit einem leichten Schweißausbruch und der Feierabendzigarette aufs Sofa plumpsen lasse, kommt eine schwedische Familie an den See.

Lass‘ mal in Klischees denken: alle vier kommen mit dem Fahrrad, Modell Hollandrad in blau-gelb, Flechtkorb am Lenker. Mama und die beiden Mädchen strohblond mit geflochtenen Zöpfen. Ihre geblümten Sommerkleidchen tanzen mit dem Wind, sie plaudern und lachen, während sie barfuß vom Fahrrad steigen.

Papa hat den Rucksack auf, er ist groß gewachsen, dunkelblond mit rotem Schimmer und einer kurzen Cordlatzhose am schlanken Körper.

Bestens gelaunt zaubert er zwei große Handtücher und vier Flaschen Blaubeerlimonade aus dem Rucksack. Zwei Minuten später springen alle kreischend in den See.

Als wir nach dem Sonnenuntergang von Rotwein auf Gintonic wechseln, fährt Familie Bullerbü nass und zufrieden wieder nach Hause.

Wir genießen die einsetzende Stille der Nacht und stellen erneut fest, dass wir dieses reduzierte Leben sehr lieben.

Ja, tatsächlich. Wir haben allen erdenklichen Schnick-Schnack an Bord, das ist kein Camping, das ist Glamping. Aber was soll’s – solange Walter Kraft und Lust hat, den ganzen Krempel mit zu schleppen, freuen wir uns sehr über die kleinen und großen Annehmlichkeiten. Ich könnte wohl darauf verzichten, hier am See auf einem saubequemen Sofa zu sitzen. Aber dann hätte diese Rubrik keinen Namen und wir weniger Spaß.

Und trotzdem haben wir reduziert. Den Lärm des Alltags, das Müssen und Sollen, die Termine und Pflichten, das Bewerten und Zaudern, das Rennen und Hetzen. Wir sind einfach da, inmitten von Luxus und Bequemlichkeit, aber einfach da. Heute zum Beispiel hier. Und morgen irgendwo anders. Und das macht frei.

Morgen früh werde ich weiter reduzieren und springe nackt in den See. Zur Not mache ich anschließend einfach die Heizung an.

Ort:                      „Sveaskog“, 305 94 Eldsberga

Stellplatz:            Natur-Parkplatz, Rasen/Naturboden

Charakter:          sehr idyllisch, romantisch und natürlich
                              1-2 Wohnmobile
                              ausreichend Platz, direkt am Wasser

Sanitär:                nur das, was Du selbst an Bord hast

Kosten:                —

Lage:                    direkt am Seeufer, geht von einer mittleren, mäßig befahrenen Straße ab

Infrastruktur:     Wasser, Holz, Wald, Sonne, leichte Brise, Bäume für den Schatten

Fahrrad:              zu empfehlen, um in die nähere Umgebung zu kommen

auf dem Platz:   Badestelle, Feuerstelle
                              wird recht rege von Einheimischen zum Baden, Angeln und Picknick besucht  

Empfehlung:       7-8 von 10
                              (uns war es durch die Tagesbesucher teilweise einen Hauch zu unruhig.
                              Das lag aber sicherlich an den schwedischen Ferien + Wochenende)