Eines habe ich im Schlossmuseum dann doch gelernt: dass die damaligen Könige und Kaiser auch ständig unterwegs waren, von einem Schloss zum anderen. Wahrscheinlich gibt es deshalb so viele davon im Harz. Damals diente der ständige Reisezirkus dem Machterhalt – Präsenz war für die königliche Karriere unerlässlich und Homeoffice war offensichtlich noch nicht erfunden.
Also fühlen wir uns königlich und fahren zur „Wiege der Könige und Kaiser“ nach Quedlinburg.
Während der Fahrt rätseln wir, wie und wie lange so ein Kaiser mit seinem Gefolge (auch das habe ich gelernt: bis zu 2.000 Mann und Frau hatte er immer dabei) für diese Strecke wohl gebraucht hat. Gab es eine Vorhut, die schon mal den Kamin angeschmissen hat? Wo und wie haben die unterwegs übernachtet? Und wie haben die so viel Essen mitgeschleppt? Bei uns im Walter ist der Kühlschrank auch immer zu klein. Kurzum – wie sah so eine Neckermann … ähm kaiserliche Reisegruppe eigentlich aus?
Auch wenn Walter gemächlich mit 60 km/h die Berge hochschnauft, bis wir in Quedlinburg ankommen, haben wir keine Antwort gefunden. Dafür auf Anhieb einen Stellplatz. Genau gegenüber dem „Münzberg“. Wieder so ein mittelalterlicher Marketing-Gag – der Berg war nämlich gar nicht aus Münzen, sondern aus Stein.

Dafür gab es auf der anderen Seite freien Blick auf das nächste Schloss. Übrigens, ist Euch mal aufgefallen, dass ALLE Schlösser IMMER eingerüstet sind? Egal wann und wo? Hier auch.
Aber egal, ist trotzdem schön anzuschauen.
Parkplatzgebühr und Strom gibt’s hier beim örtlichen BowlingCenter. Und das ist alles andere als schön anzuschauen. 80er Jahre Charme, sowohl außen als auch innen. Und der Geruch von schwitzigen Füßen in zu engen Bowling-Leder-Schuhen hängt auch seit den 80ern in diesen Räumen. Brrr…
Karlchen muss raus, wir auch, also gehen wir die erste Runde auf den Münzberg. Reich sind wir beim Aufstieg nicht geworden, dafür hat sich der örtliche Bäckermeister an seiner Hauswand verewigt und klagt uns sein Leid. Als ich später entdecke, dass er bereits um 5:00 seinen Laden öffnet, habe ich ein wenig Mitleid und beschließe, mir das Teufelswerk morgen früh einmal anzuschauen.

Apropos anschauen: vom Berg aus sehen wir in einiger Entfernung alte Türen oder Tore, irgendwie halb eingelassen in den Berg und ziemlich verlassen. Die Jagd auf „lost places“ wäre ja auch noch ein Hobby, für das ich mich begeistern könnte. Aber dafür fehlt mir einfach die Zeit – und der geliebten Bergbesetzerin an meiner Seite gerade die Motivation.
Auf dem Rückweg fragt mich eben jene Bergbesetzerin, ob der Spaziergang auf den Münzberg eigentlich schon als Bergsteigen gilt. Das hatte ich nämlich als Wunsch geäußert, wenn wir im Harz sind. Da sie sich einen Teil des Hinweges von Karlchen und mir hat ziehen lassen, lautet die Antwort leider „nein“ – auch wenn ich das bestimmt irgendwann bereuen werde….
Karlchen darf sich ausruhen, wir haben Hunger. Dafür gibt es in der Innenstadt bestimmt eine Lösung.
Entlang einer monströsen Stadtmauer, durch enge Gassen und entlang fast tausend Jahre alter Fachwerkhäuser kommen wir irgendwann auf den Marktplatz. Quedlinburg ist schon besonders. Es ist wirklich alt, im Sinne von „historisch“ aber auch im Sinne von „alt“.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich diese Stadt angeblich nicht verstanden habe, keinen Sinn für Geschichte habe und nur zur falschen Zeit am richtigen Ort war: wirklich Begeisterung kann ich nicht empfinden. Das Städtchen wirkt wie ein Museum seiner selbst. Zwar stehen da überall diese wirklich historischen und teilweise sehr liebevoll restaurierten Häuser. Aber der Gehweg davor ist aus Waschbetonplatten. Direkt am Markt, in 1-1-1-A-A-A-Lage schreit Dich erstmal „McGeiz“ aus einem 830 Jahre alten Fachwerkhaus an. Und an jeder Ecke hängt irgendein Schild, Plakat oder Stoffbanner, wie schön Quedlinburg doch ist.
Vielleicht liegts aber auch am Hunger. Wir entdecken ein regionales Fischrestaurant, welches uns jetzt sehr begeistern könnte. Will es aber nicht, es hat nämlich Ruhetag.
Bevor die Stimmung ganz kippt, gibt’s für Björni einen Kaffee und für Soni eine heiße Schokolade im Boulevard-Café. Auch hier: ein wirklich sehr besonderes, sehr historisches Haus direkt am Markt – innen eher der nachlassende Charme der späten 90er….
Macht nix, frisch motiviert erkunden wir die Stadt weiter. Ohne besondere Vorkommnisse landen wir kurz darauf beim örtlichen Griechen. Er heißt weder „Akropolis“, „Poseidon“ oder „Mykonos“, sondern ganz wild „Helena“. Bei der üblichen Fleischplatte dürfen wir dem örtlichen Dialekt vom Nebentisch lauschen. Es geht irgendwie um Silvester, 4kg Sprengstoff in einem Stahlrohr und einen Ausbildungsplatz bei der Sparkasse. Vielleicht aber auch um die Forellenzucht des Großvaters. So genau weiß ich das ehrlich gesagt nicht.
Es ist dunkel, als wir zurück zu Walter, Karlchen und unserem Stellplatz schlendern. Und irgendwie vermisse ich plötzlich das kitschige Weihnachts-Lichter-Meer vom Vortag.
Der Teufel hat mich am nächsten Morgen verschont – ich stehe erst um 7:00 in der kleinen Backstube auf dem Münzberg. Ich habe Lust, mir in Ruhe die Auslage anzuschauen – und das nicht nur aus beruflichen Gründen. Also bestelle ich mir einen Kaffee und setze mich an den einzigen, kleinen Tisch. Das überrascht (und überfordert) die Bäckereifachverkäuferin, denn sie muss erst mal die Kaffeemaschine anschalten und befüllen.
Zeit für mich, das Backwerk der letzten Nacht zu begutachten. Damit bin ich allerdings schneller fertig, als der Melitta Kaffeevollautomat sich aufwärmen kann: 3 Sorten Brötchen (hell, Körner, dunkel), eine Sorte Brot (Feinbrot in groß und klein) und vier Sorten Gebäck (Schweineohr, Eisenbahnschiene, Eierschecke und Kopenhagener).

Während der erste Kaffee des Tages für die Maschine und mich blubbert, erzählt mir meine neue Freundin, dass sie seit 5:00 schon mehr als 10 Kunden hatte und es noch ein ganz tolles Café von ihnen am Markplatz gibt. So richtig warm ums Herz wird ihr, als ich von allem jeweils ein Stück kaufe – nur von den hellen Brötchen hätte ich gerne drei.
Über die Eisenbahnschiene und das Schweineohr freue ich mich ganz besonders – die gibt es bei uns nämlich nicht und ich habe daran schon eine Wette verloren. Ich werde sie genießen.
Soni ist noch schläfrig, Karl dagegen hellwach. Ich tausche Backwaren gegen Hundeleine und ziehe mit dem Quälgeist los. Diesmal zu Füßen des Münzberges entlang eines kleinen Baches. Aber auch darin können weder Karl noch ich auch nur eine Münze finden. Dafür finden wir den Weg zu den „lost places“, welche ich gestern von oben entdeckt habe. Es ist ein Friedhof und die verlassenen Tore und Türen sind Grabkammern, welche in den Berg eingelassen sind. Ein morbider Charme liegt über diesem Platz, aber den nehme nur ich wahr. Karlchen springt fröhlich umher und markiert jeden Baum. Die teilweise 200 Jahre alten Grabsteine würde er auch gerne, aber ich lasse ihn nicht.
Nach dem Frühstück sind Karl UND Soni schläfrig. Also ziehe ich alleine los und steige auf den Schlossberg. Ich steige wieder runter, verirre mich in dunklen Gassen und komme irgendwann wieder am Marktplatz raus. Das „ganz tolle Café“ meiner Freundin aus der Backstube entpuppt sich als recht dunkler Raum mit sehr altem Plüsch und zwei mittel attraktiven Torten in der Vitrine. Aber ich könnte auch Cordon bleu mit Pommes, Filterkaffee (frisch gebrüht) und hausgemachten Kartoffelsalat mit Würstchen und Semf (!) bekommen. Möchte ich gar nicht. Deshalb gehe ich gegenüber ins Markt-Café und bekomme einen leckeren Kaffee zum Mitnehmen. Hier strahlen mich dann auch 8 verschiedene Torten an, eine leckerer als die andere. Aber ich reiße mich zusammen, ich hab ja noch Schweineohr und Eisenbahnschiene auf Vorrat.
Inzwischen ist es 12:00. Um noch länger zu bleiben, müssten wir erneut ins Bowling Center. Und weil ich bei Schnick-Schnack-Schnuck immer verliere, fahren wir endlich los. Bei 7° und leichtem Nieselregen.
Nächstes Ziel: Wernigerode













#Ende Teil 2 / Teil 3 folgt#
Ein Gedanke zu „Weiter geht die wilde Fahrt / Schneeketten günstig abzugeben Teil 2“