(19.08.2021)
„das kann doch nicht wahr sein, wie stellen Sie sich das jetzt vor?“
„….“
„ICH muss gar nichts, SIE müssen das klären, und zwar JETZT“
„…“ „…“
„Nein, werde ich nicht. Das mag für Sie eine Lappalie sein, für meine Frau und mich ist es das nicht. Entweder Sie schicken jetzt einen Monteur ….“
„….“
„Ulrike, wir fahren zurück. Ja, jetzt und sofort“
Schade, ich bin einen kleinen Moment zu spät wach geworden. So weiß ich jetzt nicht, was das Problem ist. Ich bin ja grundsätzlich nicht neugierig. Aber ich wüsste jetzt schon gerne, warum der blau-weiß-klein-karierte Herr von nebenan diesen schönen Stellplatz so früh am Morgen und so plötzlich verlässt. Gerne hätte ich ihn noch gefragt, ob ich heute die Jungfernfahrt mit der roten Vespa machen darf. Aber bei der Laune – nee, da frag ich jetzt nicht. Er spricht so schnell und aufgeregt in sein (dunkelrotes) Telefon, dass ich gar nicht alles verstehen kann. Ich muss mir ja auch noch einen Kaffee machen. Dabei habe ich die Tür vom Walter vorsichtshalber offengelassen – der frischen Luft wegen.
Zumindest habe ich es so verstanden, dass er jetzt zurück auf die Fähre und nach Deutschland fährt, statt mit Ulrike und den nagelneuen, weinroten Fahrzeugen nach Schweden in den Urlaub.
Schade für Ulrike, den Menschen am anderen Ende des Telefons und für mich. Die Frage „warum“ wird mich jetzt stundenlang beschäftigen.
Während ich versuche, mich auf mein Buch, die Sonne und die Ostsee zu konzentrieren, vertrödeln wir den Vormittag. Warum auch nicht, wir haben ja Zeit. Die Fähre geht erst am frühen Abend – zumindest unsere – und wir sind so langsam im Urlaubsmodus angekommen.
Am späten Mittag schaukeln wir los. Ich würde gern noch einmal in die Ostsee springen, also fahren wir über Umwege zu einem Strand an der Westküste Lollands. Der Umweg besteht aus einer kleinen Stadt mit See, in den ich eigentlich springen wollte. Der See ist schön – aber man kommt nicht ran. Es gibt tatsächlich keinen badefähigen Zugang, außer in einer Marina. Und dort sind Wohnmobile verboten.
Also erleben wir die raue Küste der Ostsee, denn inzwischen ist es windig und kühl. Der „Strand“ besteht aus groben Kieselsteinen, sehr viel angeschwemmtem Seegras und jeder Menge Algen im Wasser. Ich springe trotzdem hinein, geplant ist geplant. Als ich zurückkomme, weicht Karl nicht mehr von meiner Seite. Er liebt den Geruc… Gestank nach altem Seegras, vergammeltem Fisch und toten Krebsen am Strand. Schön, wenn sich hier wenigstens einer freut.
Ich freu mich, dass Walters Systeme so schön „clean up“ sind und ich unbeschwert duschen kann.
Im Grunde wäre die Dusche nicht notwendig gewesen, denn als wir viel zu früh in Rödbyhavn ankommen, wo unsere Fähre abfährt, schaudert es uns. Wir haben selten einen trostloseren, schmutzigeren und verwahrlosteren Ort gesehen. Aber was müssen wir auch im Ort rumlungern? Alle anderen fahren doch auch direkt zur Fähre?!
Naja, wir haben halt Zeit. Keine Ahnung, wie es passieren konnte, aber wir sind pünktlich, SEHR pünktlich. So finden wir uns in einem kleinen Ort wieder und sind uns nicht ganz sicher, ob hier vielleicht gerade ein schmieriger Western oder billiger Porno gedreht wird. An den Fassaden blättert die Farbe großflächig ab, einige Fenster und Türen sind vernagelt, in den Hausecken drücken sich finstere Gestalten rum.
Irgendwo plärrt ein Radio, aus dem offenen Fenster weht die vergilbte Gardine und am Ende der Straße flackert irgendwo eine Leuchtreklame. Fehlt nur noch, dass trockene Grasbüschel über die Straße wehen, dann wäre die Kulisse perfekt.
Wir sind mutig und gehen die Straße hinunter zur Leuchtreklame. Wenn schon Dänemark, dann auch HotDog. Ich habe zwar immer noch ein ausgewachsenes HotDog Trauma und bekomme allein beim Anblick Würgereiz, aber das ist eine andere Geschichte. Dänemark = HotDog, so will es das Gesetz.
Irgendwann ist es endlich so weit, Zeit für die Fähre. Diesmal sind wir Nr. 2 in der sich hinter uns aufbauenden Schlange. Der Fahrer des Vans vor uns hat es schlau gemacht: er liegt auf dem Fahrersitz und pennt.
Inzwischen ist es windig, sehr windig. Das verspricht eine unruhige Überfahrt zu werden und so verspreche ich, mich währenddessen nicht nach hinten zu verziehen und zu schlafen, sondern der geliebten Angstbesetzerin die Hand zu halten.
Gut so, denn so konnte ich erleben, wie auf der Fähre reihum die Alarmanlagen angesprungen sind. Die meisten Menschen verlassen auf der Fähre nämlich ihr Auto, Van oder Wohnmobil und folgen dem Ruf des Duty free. Wird ja zum Glück auf oft genug angesagt über die plärrigen Lautsprecher. Und wenn es dann ordentlich schaukelt, melden sich die Alarmanlagen. PiepPiepPiep hier, UhiUhiUhi dort und von hinten ein sattes DäähmDääähmDäähm. Herrlich, schon wieder fast wie im Film.
Unausgeschlafen, aber kurzweilig, erreichen wir unser Zwischenziel Puttgarden, irgendwie freuen wir uns jetzt auch auf zu Hause.
Offensichtlich geht es nicht allen so, zumindest sieht in unsere Vorstellung einer freudigen Begrüßung anders aus. Kaum sind wir von der Fähre runter und steuern auf die Autobahn zu, begrüßt uns eine schwarze Wand. Aus ihrem Inneren spuckt diese Wand Blitze quer über den Horizont, selbst Walter zuckt von dem nachfolgenden Donnergroll zusammen und es dauert nicht lange, da werden die Schleusen geöffnet. Das ist mal wieder kein Regen, das ist eine Sintflut. Herrlich, bloß keine Abwechslung aufkommen lassen. Alles wie immer. Mit einer sanften Abendsonne könnte ich jetzt auch gar nicht umgehen.
Und so kommt es, wie es kommen soll. Aus den geplanten 3,5 Std. Rückfahrt werden mal wieder 5. Es dauert immer 5 Stunden, immer.
Als wir auf den Hof rollen, trauen wir unseren Augen nicht: der Vorgarten sieht aus wie geleckt. Ja, o.k., ich habe ihn in den letzten Wochen vernachlässigt und so. Aber das hier – das hätte ich selbst mit größter Mühe nicht geschafft. Da ist kein Halm zu viel, die Gräser sind gebürstet und der Boden exakt in eine Richtung geharkt. Der Aschenbecher vor DER Bank ist geleert und ausgewaschen, selbst die Pflastersteine sehen aus wie gebürstet und gestriegelt. Es ist toll, solche lieben Heinzelmännchen und -Frauen in der Familie zu haben!
5 Std. Fahrt ohne Nickerchen machen sich dann doch bemerkbar. Wir beschließen, das Ausräumen von Walter auf morgen – oder übermorgen – zu verschieben. Außerdem ist es längst dunkel. Rotwein haben wir auch noch da, also stehen wir erschöpft in der Küche. Vorsichtig tasten wir uns ins Esszimmer, ins Büro …. und schnell wieder zurück. Irgendwie fühlt es sich komisch an, plötzlich soviel Platz zu haben. Wir schieben uns in der Küche aneinander vorbei und schaffen es nicht, mehr als die 15 qm zu nutzen, auf denen wir gerade stehen. In die obere Etage wage ich mich erst morgen vor, das weiß ich jetzt schon.
„Halli Hallo“
Viel Zeit haben wir nicht, um uns komisch zu fühlen. Genau 7 Minuten, nachdem wir angekommen sind, hören wir den unverwechselbaren Ruf von I.
Ihr Ruf ist einzigartig und unverwechselbar. Es gibt ihn in mehreren Tonlagen und Lautstärken. Dieser Ruf gerade bedeutet „ich hab Euer Wohnmobil gesehen, ENDLICH seid Ihr wieder da, lass uns Wein trinken, wie geht’s Euch, wie war die Fahrt, erzähl doch mal, hier ist soviel passiert….“
Und so sitzen wir mit den liebsten Freunden bis tief in die Nacht, plaudern, freuen uns, werden auf den neusten Stand beim Dorftratsch gebracht und fallen irgendwann tot in ein viel zu großes Bett.
Am nächsten Morgen erwische ich mich dabei, wie ich eine Münze in die Dusche werfen möchte. Ich überweise der geliebten Hausbesetzerin spontan 100Kr, weil der Stellplatz hier wirklich schön ist. Und irgendwie schaffen wir es nicht, im „normalen“ Leben anzukommen. Alles ist irgendwie zu groß, zu komfortabel und allzu bekannt.
Wenn Du fast drei Wochen von einem Chaos ins nächste fährst, kann die Normalität ganz schön anstrengend sein.